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Safer House- und Technoparties

Technoparty, Technokultur und Drogenprävention


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Gehörgefährdung und Sound als Aspekte im Safer House Konzept


Ergebnisprotokoll
der Arbeitsgruppe safer House Parties
von Dipl.-Ing. Tobias Behrens
erarbeitet am Mittwoch, 25. 10. 1995
in der Landessportschule Lindow anläßlich des Technoworkshops der
Deutschen AIDS-HILFE e.V. und der EVE & RAVE FACTORY

 

 

Intro

Beim Rave-Erlebnis ist laute Musik zweifelsfrei von erheblicher Bedeutung. Um seinem, des Ravers, Ziel, des "sich Verlierens in der Musik" oder des "Tobens, Rasens (engl.: to rave)" näherzukommen, werden erhebliche Schalldruckpegel gewünscht. Mit den einhergehenden längeren Verweilzeiten in einer lauten Umgebung kann eine Schalldosis zustandekommen, die erfahrungsgemäß, oder in Bereichen wie Walkmangebrauch und Zivilisationslärm, erwiesenermaßen als schädlich anzusehen ist.

Im Klartext heißt das:
Bei der im Techno- und House-Bereich üblichen Gehörbelastungen ist generell von einem gesteigerten Risiko einer Gehörschädigung auszugehen.

Aus diesem Sachverhalt heraus ist es also sinnvoll, die Gefahren im Gesamtkontext abzuschätzen und Maßnahmen zu deren Ausschließung oder Minimierung vorzuschlagen. Im Bereich der Safer House Kampagne kann dies an die Zielpersonen herangetragen werden. Hinweise, die auf die Veranstalterebene zielen, sind dabei genauso wichtig, wie unmittelbar an den Raver heranzutreten, um so Informationsdefizite auszugleichen.

 

Kleiner (Grundlagen-)Exkurs

Das weitverbreitete Gefühl der eigenen Unverletzbarkeit, das in Partysituationen erheblich verstärkt sein kann, bringt oft eine Überschätzung der körperlichen Leistungsfähigkeit mit sich. Der Gehörsinn ist dabei besonders gefährdet, wird er dabei oft dem oberen Grenzbereich seiner physiologischen Möglichkeiten ausgesetzt. Seine besondere Verschleißcharakterisik kann zu einer Verschiebung der Hörschwelle oder gar heftigen akuten Krankheitssymptomen führen. Die Gefährdung ist individuell sehr unterschiedlich, absolute Zahlenangaben sind in diesem Bereich gemittelt und deshalb mit Vorsicht zu genießen.

 

Gerechnet werden muß mit folgenden Belastungssymptomen:

Ist eine Gehörbelastung durch hohe Lautstärke nicht zu groß gewesen, entsteht das Phänomen der Vertäubung: Dieser Hörverlust als Folge der belastungsbedingten Hörschwellenverschiebung ist nur zeitweilig, er wird nach Minuten, Stunden oder Tagen der Gehörschonung wieder zurückgebildet. Diese Art von Hörverlust wird als TTS (engl.: temporary threshold shift) bezeichnet.

Generell läßt sich sagen, daß nach einer intensiven Belastung des Gehörs Erholungszeiten mit Schalldruckpegeln kleiner 50 dB(A) zur Erhaltung der vollen Hörfähigkeit unerläßlich sind, da die Sinneszellen im Gehör nicht zum ununterbrochenen Verarbeiten von heftigen Schallreizen ausgelegt sind.

War die Belastung dagegen zu groß, bleibt als häufigstes Symptom ein permanenter Hörverlust, die Hörschwelle ist dauerhaft verschoben und die vorherige Hörfähigkeit kann nicht wieder zurückgewonnen werden (PTS: permanent threshold shift). Daraus kann, auch durch Summation kleinerer PTS Symptome, eine Schwerhörigkeit entstehen. Dies ist aufgrund des allmählichen, somit meist anfangs unbemerkten Nachlassens der Hörfähigkeit besonders heimtückisch. Meistens wird die Schädigung erst dann bemerkt, wenn schon ein, das Alltagsleben beeinträchtigendes Symptom, wie der Schwerhörigkeit, entstanden ist. In der Berufsmedizin gilt eine PTS von 40 dB als ernsthafte Schädigung. Neben der "schlichten" Hörschwellenverschiebung können auch andere, wie die weiter unten aufgeführten Überlastungssymptome hervorgerufen werden.

Alle diese Vorgänge gelten für mittlere bis hohe Frequenzen. Im Bereich zwischen 2 und 6 kHz ist das Gehör aufgrund der hier größten Empfindlichkeit am leichtesten zu schädigen. Der Großteil der im Musiksignal enthaltenen Energie liegt genau in diesem Frequenzbereich. Die Leistungsfähigkeit des Gehörs im oberen Frequenzbereich läßt mit den Jahren altersbedingt (auch bei Leisetretern) nach. Die Auswirkungen exzessiven Musikkonsums hat hier kaum Einfluß.

Im Baßbereich werden, technisch bedingt, für das hier unempfindlicher und auch robuster arbeitende Gehör gefährliche Schalldruckpegel eigentlich nicht erzeugt. Wohl können sich intensive tieffrequente Schallpegel unangenehm auf Lunge, Zwerchfell, Verdauungsorgane und Zentralnervensystem auswirken, doch die Folgen sind langfristig selten wirklich gefährlich, da hier möglicherweise auftretende Symptome wie "sich unwohl fühlen", Erbrechen, Verkrampfungen oder panikartige Angstzustände zu spontanen, sicherheitsfördernden Reaktionsmuster führen, wie etwa Flucht aus dem Lärmbereich.

Bei zu hohen Gehörbelastungen gibt es im Vorfeld gewisse Warnzeichen, die bemerkt, erkannt und beachtet werden sollten, als da wären:

  1. Einfach der Eindruck, daß es für sich selbst unangemessen oder unverhältnismäßig laut ist.

  2. Ein Überschreiten der Schmerzschwelle (stechender, kaum unbemerkt bleibender Schmerz); dies ist bei schrillen Geräuschen mit Lautstärken von mehr als 120 bis 130 Phon der Fall.

  3. Das Bemerken einer Vertäubung (dumpfes Hörgefühl) oder Auftreten eines Tinnitus (Nachton oder Nachgeräusch), der meistens unmittelbar nach Verlassen der lauten Umgebung auftritt und in den allermeisten Fällen nach Stunden oder Tagen aufhört.

  4. Das Erleiden eines Hörsturzes (infarktartige Durchblutungsstörung im Innenohr) mit totalem Verlust des Hörsinns, längerfristiges Auftreten eines Tinnitus (beides kann nicht immer geheilt werden!) und beeinträchtigende Schwerhörigkeit oder Hypersensibilität als sehr ernste, kaum noch als Warnzeichen zu verstehende Schädigung des Gehörs.

 

An den Raver gerichtete Hinweise können folgendes beinhalten:

Aufgrund der genannten Fährnisse sollte an die Eigenverantwortung des Ravers appelliert werden, sein Gehör als verletzbares und deshalb schützenswertes Organ aufzufassen.

Die oben aufgelisteten Warnsignale sollten nicht mißachtet werden und die "richtige" Lautstärke sollte einen gehobenen Stellenwert beim Raven haben; bei der Suche der "Insel" im Meer der Raver auf dem Dancefloor sollte man bezüglich der gewünschten Lautstärke von "unten" beginnend sein Optimum suchen. Die Lautstärke sollte für das sich gesetzte Ziel gerade ausreichend sein, hingegen nicht gerade noch erträglich.

Man sollte sich als, wenn es zu laut ist, eine etwas leiseres Plätzchen suchen (weiter weg von den Lautsprecherboxen), notfalls dem DJ oder Tonmeister (Mixer, Techniker) einen Hinweis auf die unerträgliche Lautstärke geben. Auch Gehörschutzstöpsel können sinnvoll sein, zumindest ist es nicht uncool, solche zu benutzen (in den Ohren zu tragen). Es ist dagegen ganz und gar nicht cool, den größten Schallpegeln ohne Schutz vermeintlich trotzen zu können.

Beim Ausruhen oder Abhängen sollte ein wesentlich leiserer Ort als der Dancefloor aufgesucht werden, zum Beispiel der Chill-Out-Bereich. Laute Musik muß aufgrund der neurochemischen Vorgänge "körperlich verarbeitet" werden. Man sollte auf jeden Fall, wenn man sich für längere Zeit in den Bereich sehr lauter Musik begeben will, dieser Musik positiv gegenüberstehen. Die Schädigung wird so erwiesenermaßen kleiner sein, als wenn die gleiche Schalldosis als (störender) Lärm empfunden wird, dem man passiv ausgesetzt ist.

Nur wenn es beim Ausruhen leise (oder zumindest nicht laut) ist, hat auch das Gehör seine unerläßlichen Schonzeiten. Es macht also wenig Sinn, im Bereich des Dancefloor, womöglich vor den Mittel- oder Hochtonlautsprechern oder auf / in einem Baßhorn auszuruhen oder gar einzuschlafen. Das Gehör schläft nämlich – im Gegensatz zu den von den Augenliedern geschützten Augen – nicht. Die Gehörzellen arbeiten in lauter Umgebung unentwegt weiter, zudem werden die Schallsignale auch im Schlaf vom Gehirn verarbeitet. Das heißt, neurochemische Vorgänge (z.B. die Veränderung des Hormonhaushaltes oder die Adrenalinausschüttung), die uns veranlassen auf den Schall zu reagieren, laufen weiter ab. Von Erholung kann also keine Rede sein.

Nach einer durchgefeierten Nacht sollte man dem Gehör einen Tag Ruhe gönnen, ein ganzes Party-Wochenende macht schon eher drei bis vier Tage der Erholung nötig. Zur Unterstützung der nötigen Erholungsphasen für das Gehör sollte der aktive Raver in der sonstigen Freizeit besser auf die meist im Verhältnis lautere Kopfhörerbeschallung (Nutzung des Walkman in der Bahn) verzichten, um die notwendigen Erholungszeiten einhalten zu können.

 

An Veranstalter gerichtete Hinweise können folgendes beinhalten:

Auf den Sound (Qualität desselben) sollte ein gesteigerter Wert gelegt werden, denn ein guter, durchsichtiger Sound mit sauberen Baßimpulsen und großer Dynamik macht allzu hohe Lautstärken entbehrlich.

Die maximale Kurzzeit-Lautstärke, der sich der Raver aussetzen kann, muß bekannt sein und darf 120 dB(A) nicht übersteigen. Ein Limiter könnte sich als sinnvoll erweisen, dazu muß jedoch die PA (power amplifier = Verstärker) zpeziell eingemessen werden.

Die höchsten Schalldruckpegel sind bei mittleren und hohen Frequenzen und in unmittelbarer Nähe der betreffenden Lautsprecher zu erwarten. Ein gewisser "Sicherheitsabstand" zu den Mittel- und Hochtonlautsprechern, der vom Raver nicht unterschritten werden kann, ist sinnvoll.

Neben der Vermeidung absolut zu großer Schalldruckpegel spielt also die Positionierung der Boxen eine wesentliche Rolle zur Vermeidung von Bereichen mit hohem Gefahrenpotential für das Gehör. Eine größere Anzahl von Mittel- und Hochtonlautsprechern auch im großeren Abstand zum Dancefloor gewährleisten dort eine gleichmäßige Lautstärke. Die betreffenden Frequenzanteile sollten also entweder weit über den Köpfen oder, wenn auf Kopfhöhe, dann zurückversetzt abgestrahlt werden.

Der Baßbereich hat weniger Einfluß auf eine Gesundheitsgefährdung als vielmehr auf den Sound, der natürlich essentiell für das Erleben ist. Die sprichwörtlichen "vibrations", etwa im unmittelbaren Nahfeld von einem Baßhorn, sind meist positiv, können aber in der weiter oben genannten Weise (Schlafen vor / in einem Baßhorn) bei allzu großen Schallpegeln ins Gegenteil umschlagen.

Die Lautstärke sollte kontrolliert und dem Geschehen angepaßt werden. Nach Phasen der Steigerung von Tempo und Lautstärke zur Initialisierung ekstatischer Momente auf dem Dancefloor sind auch wieder etwas ruhigere und langsamere Phasen angesagt. Der DJ, auch wenn er akustisch vom übrigen Geschehen abgeschirmt seinen eigenen Monitorsound hat, sollte jederzeit wissen, wie laut es eigentlich auf dem Dancefloor ist. Das heißt, wenn er sich nicht selber einen Eindruck verschaffen kann, sollte zum Beispiel eine VU-Meter-Anzeige unmittelbar Aufschluß über die Lautstärke geben. Dazu muß das Soundsystem eingemessen werden und jeglicher unkontrollierter (unbefugter) Eingriff unqualifizierter Leute ausgeschlossen sein. Der bewertete Mittelungs-Schalldruckpegel sollte dann in keiner Phase 105dB(A) überschreiten. Niedrigere Werte sind anzustreben.


Fussnoten:

  1. Lautstärke [Phon]:
    Schall wird vom gesunden Gehör in einem Frequenzbereich von 16 Hz bis 16.000 Hz (drei Dekaden!) und einem Lautstärkebereich von 0 bis 120 Phon (ein Schalldruckpegelverhältnis von 1 zu 106, das schafft kein Meßgerät) wahrgenommen. Die Lautstärke 0 Phon ist die Hörschwelle, 120 Phon die Schmerzschwelle. Physikalisch gleich starke Schallreize unterschiedlicher Frequenz werden nicht als gleich wahrgenommen. Dies wird berücksichtigt mit der Lautstärke, die in der Pseudoeinheit Phon angegeben wird. Bezugsfrequenz ist ein kHz (hier stimmen dB und Phon überein). Einer Verdoppelung der wahrgenommenen Lautstärke entspricht ein Zuwachs von 10 Phon.
    Schalldruckpegel [dB] (Dezibel), oft auch [dB SPL] (engl.: sound pressure level):
    Ändert sich die Stärke oder die Frequenz von Schall, so ist die damit verbundene Wahrnehmungsveränderung nicht linear, sondern in etwa logarithmisch. Es ist deshalb sehr zweckmäßig, den physikalischen Schalldruck nicht mit der Druckeinheit Pascal, sondern der Pseudoeinheit Dezibel zu beschreiben. Der Schalldruckpegel ist eine mit dem Faktor 20 multiplizierte logarithmische Verhältnisgröße, bezogen auf einen Schalldruck von genau 2 · 10-5 Pascal; bei diesem wird nämlich ein 1 kHz (Kilohertz = 1.000 Hertz = 1.000 Schwingungen pro Sekunde) Ton eben gerade wahrgenommen. Die Lautstärke L einer Schallquelle der Intensität I ergibt sich in Dezibel zu L = 10 · log (I/I0) wobei I0 die Intensität eines Tones der Frequenz 1.000 Hz an der Hörschwelle des menschlichen Ohres ist [Intensität I0 @ 10-12 W/m2 (Watt pro Quadratmeter)]. Dauerschall wird ab ca. 10-3 W/m2 @ 90 dB gehörschädigend. Ein nicht konstanter Schall, wie meistens auch Musik, muß über eine gewisse Zeitdauer gemittelt werden, um einen aussagekräftigen Pegelwert zu erhalten.
    Bewerteter Schalldruckpegel dB(A):
    Am empfindlichsten ist das Gehör bei 2 bis 6 kHz, bei tiefen und hohen Frequenzen wird bei gleichem Schalldruckpegel leiser wahrgenommen. Um einem Schallreiz einen gehörangepaßten Wert, der dies berücksichtigt, geben zu können, wird das vom Mikrophon aufgenommene Schallsignal bewertet, indem es mit einer Charakteristik, die der 30 Phon Lautstärke-Kurve entspricht, gefiltert wird.
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  2. In der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Lärmbekämpfung, die dich vornehmlich mit Lärm, im speziellen mit beruflicher Gehörgefährdung auseinandersetzt, sind zunehmend Artikel über Gehörgefährdung im Freizeitbereich zu finden. Vgl.: VDI Richtlinie 2058 Beurteilung von Lärm hinsichtlich Gehörgefährdung.
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