Safer House- und Technoparties
Technoparty, Technokultur und Drogenprävention
Anhang
Beobachtungen bezüglich des Vorgehens der Polizei
an der Mayday im November 1994 in der Deutschlandhalle in Berlin
von Hans Cousto
Übergriffe
In der Deutschlandhalle (Berlin) hatte der Verein in
Gründung Eve & Rave im ersten Obergeschoß beim Block
18 einen Informationsstand mit Literatur zum Thema Drogen, einem Entspannungsraum
in Form einer "harmonikalen Brain-Box" (Großraum-Mind-Machine
für mehrere Personen) und einem Informationstisch, an dem die Broschüre
"Partydrogen" unentgeltlich von den Besuchern der Mayday entgegengenommen
werden konnte. Ebenso wurden Kalziumdrinks und Vitamindrinks angeboten.
In der Nacht vom Freitag, 25.11.1994 zum Samstag, 26.11.1994
bin ich verschiedentlich Augenzeuge von Polizeikontrollen geworden.
Dabei ist mir aufgefallen, daß einige Beamte in Zivilkleidung
Besucherinnen und Besucher der Mayday beschimpft und beleidigt haben.
So sah ich zum Beispiel zwei Beamte, etwa 30 Jahre alt, in Jeans und
Lederjacken, der eine mit dunklem, gekräuseltem Haar, der andere
mit einem schwarzen Bürstenschnitt, die einen etwa 20 bis 25 Jahre
alten Besucher in den Treppenaufgang zum Block 18 zerrten – beide Beamte
hielten ihn an den Armen fest, obwohl der Besucher keinerlei Anstalten
machte, sich zu wehren oder zu entkommen – und durchwühlten seine
Taschen und betasteten ihn recht heftig zwischen den Beinen an den Oberschenkeln.
Der Besucher wollte die Polizeiausweise nochmals sehen – er hatte sie
nach seiner eigenen Aussage nur ganz kurz in schummrigen Licht gesehen
und konnte somit kein Wort darauf lesen. Die Beamten reagierten darauf
mit Beleidigungen wie "mit euch Gesindel werden wir schon noch
fertig" und "Dir Lümmel werden wir es schon noch
zeigen".
Als die Beamten nicht fündig wurden, sagten sie
einfach: "so, hau jetzt ab". Es mutet schon sehr befremdlich
an, wenn unschuldige Besucher auf einer legalen und angemeldeten Tanzveranstaltung
von Polizisten erstens einfach in der "Du-Form" angeredet
werden – im umgekehrten Fall, wenn ein Besucher einen Polizisten mit
Du anredet, wird dies als Beleidigung ausgelegt – und zweitens sich
beschimpfen und beleidigen lassen müssen. Ich frage mich ernsthaft,
wie man jungen Bürgern dieses Landes ein Gefühl für die
rechtsstaatliche freiheitlich demokratische Grundordnung vermitteln
will, wenn Organe dieses Staates die Würde unschuldiger junger
Bürger und Bürgerinnen nicht achten und respektieren.
Diese erste Beobachtung machte ich zwischen 23 und 24 Uhr am Freitag,
den 25.11.1994.
Etwa eine halbe Stunde später sah ich die gleichen
Beamten, wie sie zwei ganz junge Besucher in dem gleichen Treppenaufgang
einer Leibesvisitation unterzogen. Auch diese wurden mit "Du"
angeredet und der eine der beiden Besucher, etwa 20 Jahre alt, wurde
ziemlich heftig von einem Beamten gegen die Wand gedrückt, als
der andere Polizeibeamte ihm die Jeansjacke vom Leib zerrte. Der zweite
junge Besucher stand fassungslos daneben und wußte offensichtlich
nicht, wie man in einer solchen Situation zu reagieren hat.
Während dieser Aktion ging ich die Treppe hinauf
und sprach die Beamten an und machte sie auf ihr unkorrektes Verhalten
aufmerksam. Zuerst fragten sie mich forsch, wer ich sei und was ich
eigentlich wolle (auch in der "Du-Form", wobei zu bemerken
ist, daß ich sicherlich 10 bis 15 Jahre älter als die besagten
Polizeibeamten war). Ich entgegnete mit einem etwas scharfen Ton, daß
ich hier arbeite und daß ihr Verhalten Konsequenzen haben werde
und die Sache im Senat zur Sprache kommen werde. Darauf hin ließen
die Beamten von den jungen Besuchern ab und verschwanden recht schnell
ohne weitere Fragen zu stellen.
Nach diesem Zwischenfall wechselte ich noch ein paar
Worte mit den beiden jungen Besuchern der Mayday. Dabei berichteten
sie mir, daß auch Freunde von ihnen ähnlich behandelt wurden.
In allen Fällen wurden die Polizeiausweise von den in Zivil auftretenden
Beamten immer nur ganz kurz vorgezeigt, so daß die kontrollierten
Personen sich die Namen der Beamten nicht merken konnten.
Eine junge Frau aus Sachsen erzählte mir am Eve
& Rave - Informationsstand, daß sie in Berlin am Vormittag
des Freitags sich einem AIDS-Test unterzogen hatte. Dabei wurde dem
Patientin Blut abgenommen, damit dieses ins Labor zur Untersuchung geschickt
werden konnte. Die Frau wollte den Test nicht an ihrem Wohnort vornehmen
lassen, damit sie die Gewähr hat, daß dort niemand etwas
davon erfahre. Bei einer Personenkontrolle in der Deutschlandhalle am
späten Freitag Abend sahen Polizeibeamte in Zivil das Pflaster.
Sie rissen es sofort herunter und sahen den Einstich. Darauf hin wurde
sie nach ihren Angaben mit "Schlampe" und "Drogensüchtige
Hure" beschimpft. Als die junge Frau den Beamten die Situation
erklären wollte und ihnen auch zeigte, daß sie keinen zweiten
oder dritten Einstich habe, wurde sie nach der Kontrolle nur rüde
abgewiesen. Ob es wohl in Berlin Fixer gibt, die ihre Einstiche mit
Pflaster zukleben?
Drogenkontrollen und Drogenmißbrauch
Es gibt kaum einen Ort, wo mehr Drogenmißbrauch
zu beobachten ist, als direkt vor einer Drogenkontrolle. Werden zum
Beispiel am Eingang einer Großveranstaltung die BesucherInnen
auf Drogen hin abgetastet und die Taschen durchwühlt, so konsumieren
zahlreiche der Wartenden ihren ganzen Drogenvorrat, damit er ihnen nicht
abgenommen wird. Auch wollen die Wartenden vor dem Einlaß ihre
teuer bezahlten Drogen nicht wegwerfen. Hier zeigt sich deutlich, daß
diese Kontrollen äußerst kontraproduktiv zur Schadensminderung
beim Drogengebrauch sind. Eigentlich will man ja durch solche Kontrollen
die BesucherInnen der Veranstaltungen im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes
schützen, doch die Kontrollen bewirken genau das Gegenteil – ein
plötzlicher übermäßiger Drogenkonsum ist die Folge
solcher Kontrollen.
Sehr eindrucksvoll zeigte sich das an der Mayday in der Deutschlandhalle.
An den beiden Veranstaltungen am Freitag den 25. Und Samstag den 26.
November 1994 besuchten etwa 24.000 Raver das Spektakel, wobei ein absolut
überdimensionierter Sicherheitsapparat aufgeboten wurde und ein
gigantischer Polizeiaufmarsch in Szene gesetzt worden ist. Die Raver
wurden nicht nur am Eingang, sondern auch während der ganzen Nacht
kontrolliert und nach Drogen durchsucht und zu diesem Zweck zum Teil
völlig ausgezogen. Am Eve & Rave - Informationsstand haben
wir von zahlreichen Betroffenen sehr detaillierte Beschreibungen dieser
teilweise echt brutal durchgeführten Kontrollen zu hören bekommen.
Ich selbst mußte nicht nur einmal einschreiten und Polizeibeamte
an einen etwas humaneren Umgang gemahnen.
Die Polizeiaktion an der Mayday wurde in der Fachzeitschrift
Kriminalistik (Ausgabe 4/95) im Artikel "Technoszene
und Drogen" von Günther Hirschfeld wie folgt beschrieben:
"Bei zwei im November 1994 in Berlin durchgeführten
Techno-Veranstaltungen mit jeweils 12.000 Teilnehmern wurden insgesamt
152 Verstöße gegen das BtMG festgestellt. Sichergestellt
wurden überwiegend synthetische Drogen, aber auch Kokain, LSD
und Haschisch. Der Umfang der Verstöße übertraf die
Erwartungen. Bei noch gründlicheren Kontrollen der Besucher hätten
möglicherweise weitere Täter festgestellt werden können.
Der dafür erforderliche höhere zeitliche Aufwand wäre
vermutlich mit einem Stimmungsumschwung der Teilnehmer einhergegangen
und hätte den friedlichen Ablauf der Veranstaltung beeinträchtigt."
152 Verstöße gegen das BtMG bei 24.000 BesucherInnen
entspricht einer Quote von 0,63 Prozent. Sicherlich wurden durch die
massiven Kontrollen weit mehr als 152 BesucherInnen an ihrem Spaß
bei diesen Veranstaltungen behindert. Einige berichteten, daß
sie dreimal bis auf die Haut abgetastet wurden, einhergehend mit üblen
Beleidigungen und Beschimpfungen. Für viele völlig unschuldige
BesucherInnen kippte durch die Kontrollen die Stimmung ins Negative
um.
Der vor dem Einlaß durch die Kontrollen bedingte
übermäßige sofortige Konsum aller Drogen, die einige
der BesucherInnen mit sich führten, hatte in mehreren Fällen
zu Überdosierungen geführt, die so schwerwiegend waren, daß
medizinische Hilfe notwendig wurde. Ohne die Kontrollen hätte es
sicherlich weniger Überdosierungen gegeben und in der Folge hätten
auch weniger BesucherInnen mit heftigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen
mit Krankenwagen in die umliegenden Hospitäler transportiert werden
müssen.
Kritische Würdigung
Die hier beschriebenen Beobachtungen von Kontrollen
sind sicherlich nicht repräsentativ für alle an der Mayday
vorgenommenen Überprüfungen und Leibesvisitation durch die
Polizei – es wurden uns am Eve & Rave Stand auch über angenehmere
Begegnungen und Gespräche mit Polizeibeamten berichtet – doch es
kam zu solchen Ausschreitung seitens der Polizei und dem sollte durch
bessere psychologische Schulung der Beamten und mehr Disziplin im Dienst
entgegengesteuert werden. Vor allem junge Bürgerinnen und Bürger
aus den neuen Bundesländern, die langsam ihre Erfahrungen mit der
Stasi zu verarbeiten beginnen, sind besonders empfindlich, was das Vorgehen
von Polizei oder anderen Behörden anbelangt. Vor diesem Hintergrund
hätte doch der Unterschied zwischen der alten DDR und dem neuen,
nun größer gewordenen Deutschland – nicht nur aus rechtlicher
Sicht – für die neuen Bundesbürger, die in großer Zahl
die Mayday in Berlin besuchten, mit mehr Würde seitens der Staatsbeamten
vor Ort vorgelebt werden können.
Schlußfrage: Ob bei einer polizeilichen Personenkontrolle
in der Deutschen Oper die Damen und Herren in Abendgarderobe wohl auch
mit Du angeredet werden?
|