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Drug-Checking-Konzept

für die Bundesrepublik Deutschland
erarbeitet vom techno-netzwerk berlin
für das Bundesministerium für Gesundheit


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Drug-Checking-Konzept für die Bundesrepublik Deutschland
Konzeptioneller Vorschlag zur Organisation von Drug-Checking
Eine Diskussionsgrundlage

 

  1. Additions- und Integrationsmodell
    als Drug-Checking-Modell für Deutschland

Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, daß Selbstorganisationen, die sozial und kulturell in ihrer Szene verankert sind und über ein hohes Maß an Fachkompetenz und Erfahrungswissen verfügen, eine viel größere Akzeptanz in ihrer sie umgebenden Lebenswelt besitzen und ihnen von Drogengebrauchern mehr Vertrauen entgegengebracht wird, als dies bei etablierten Einrichtungen der professionellen Drogenhilfe der Fall ist. Akzeptanz und Vertrauen sind für die erfolgreiche Durchführung so hoch sensibler Vorgänge wie der Abgabe illegalisierter Drogen als auch des Beratungs- und Informationsgespräches bei Übermittlung der Drug-Checking-Ergebnisse unabdingbar. Das hier vorgestellte Additions- und Integrationsmodell ist von der Struktur her modular aufgebaut – es kann schrittweise im Baukastenprinzip erweitert werden. Bereits in der einfachsten (minimalsten) Version ist dieses Modell voll funktionsfähig.

 

  1. Der Weg der Probe vom Konsumenten in das Labor

    Folgende Abgabestellen für Drogenproben sind denkbar:

    1. Selbstorganisationen (Büro, Kontaktcafé, Informationsstand)

    2. AIDS-Hilfen (Geschäftsstelle, Kontaktcafé)

    3. Etablierte Drogenberatungsstellen (Büro, Kontaktcafé)

    4. Gesundheitsräume (Fixerstuben)

    5. Mobile Drug-Checking Laboratorien

    6. Apotheken (bedingt tauglich als Abgabestellen)

    Ein Verzeichnis von Abgabestellen wird in dafür geeigneten Medien regelmäßig veröffentlicht. Alle Abgabestellen sind mit einem einheitlichen Logo deutlich sichtbar am Partystand, an der Bürotür oder im Schaufenster gekennzeichnet. Bereits bei der Probenabgabe besteht die Möglichkeit, für den "Konsumenten" Informations- und Beratungsangebote in Anspruch zu nehmen und Telefonnummern und Adressen von Szeneorganisationen und (Drogen-)Beratungsstellen zu erfragen. In jeder Abgabestelle liegen Flyer und Broschüren mit Sachinformationen zur Thematik aus. Falls gewünscht, vermitteln die Mitarbeiter der Abgabestelle Kontakte zu einer Drogenberatungsstelle oder einem qualifiziertem Arzt.

    Die Probenabgabe erfolgt anonym, wobei gewährleistet ist, daß die Abgabestelle während ihrer Öffnungszeiten nicht polizeilich observiert wird. Der "Konsument" (hier die probenabgebende Person) erhält bei Abgabe der Probe einen Zahlencode oder legt der Probe ein Codewort zur sicheren Identifikation bei. Bei der persönlichen Übergabe der Probe wird geklärt, ob es sich um eine Droge aus einer Charge handelt, die bereits Probleme verursacht hat, beziehungsweise durch starke Nebenwirkungen oder unerwünschter Effekte aufgefallen ist. Ist dies der Fall wird die Verbreitung (Zeitraum und Ort bzw. Region) dieser Probe erfragt.

    Persönliche Daten des "Konsumenten" (beispielsweise Name, Adresse und Aussehen) dürfen in keinem Fall erfaßt werden. Die Mitarbeiter der Abgabestelle unterliegen der Schweigepflicht und besitzen ein Zeugnisverweigerungsrecht.

    Eine weitere Möglichkeit der Übergabe von Proben besteht darin, die Probe mit einem Codewort per Post an die Postadresse oder das Postschließfach einer Selbstorganisation oder einer anderen Abgabestelle zu schicken, beziehungsweise direkt in deren Briefkasten einzuwerfen.

    Möglichst noch an der Abgabestelle werden die Proben physikalisch vermessen: Als erstes wird die Probe gewogen. Die Darreichungsform (Tablette, Kapsel, Pulver, Paste, Papiertrip, Mikrotablette, Lösung, usw.) und Konsistenz (klebrig, porös, klumpig usw.) der Probe werden visuell bestimmt, ebenso deren Farbe und Farbverteilung und gegebenenfalls auch deren Tablettenform, deren Aufdruck (Logo) und auch das Vorhandensein einer Bruchrille ist bei Tabletten zu registrieren. Die exakte Vermessung von Durchmesser, Steghöhe und Dicke erfolgt mit einer digitalen Schublehre mindestens auf einen Zehntel Millimeter genau. Für die Vermessung und die Dokumentation ist ein präzises einheitliches Verfahren zu entwickeln. Wenn möglich, ist die Probe bereits an der Abgabestelle mit einer digitalen Kamera zu fotografieren oder einzuscannen. So lassen sich Verwechslungen aufdecken und korrigieren, die bereits in der Frühphase des Drug-Checking-Prozederes zum Beispiel beim Transport in das Labor auftreten könnten. Die aufgenommenen physikalischen Parameter (Kennzeichen) und das Codewort, beziehungsweise der Zahlencode, werden in einem normierten Auftragsschein eingetragen, der der Probe beim Versand in das Labor beigelegt wird. Zusätzlich wird der Auftragsschein ggf. mit digitalem Bild elektronisch (per Internet) dem Labor (damit die Laborkapazität im voraus entsprechend organisiert werden kann) und der Koordinierungsstelle (Beschreibung und Funktion s.u.) zugesendet. Auf diese Weise wird der notwendige Sicherheitsstandard im Prozedere des Drug-Checking durch Reduzierung von Verwechslungsgefahren gewährleistet.

    Die Probe wird nach der Abgabe und Vermessung in einer (z.B. grünen) Schutzhülle einzeln verpackt und mit Auftragsschein in einem gesicherten Behältnis bis zur Versendung in das Labor deponiert. Proben, die nach Aussage der "Konsumenten" problematisch sein könnten, werden in eine andersfarbige (z.B. rote) Schutzhülle eingebracht, beziehungsweise Umschlag und Auftragsschein werden mit einem speziellen Symbol (z.B. "rote Hand") markiert, damit diese Probe im Labor sofort erkannt werden kann und vorrangig analysiert wird.

    An Ständen auf Parties werden die Proben sicher in einem Brustbeutel oder Geldgürtel aufbewahrt. Zuvor wird die Probe mit einem Zettel, auf dem das Codewort oder der Zahlencode vermerkt ist, in einer Kunststoffhülle wasserdicht verpackt. Nach beendeter Standarbeit werden die physikalischen Parameter der Proben im Büro der Selbstorganisation aufgenommen und wenn möglich ein digitales Bild erzeugt. Anschließend werden die Proben in die grünen oder roten Transportschutzhüllen eingebracht und in einem sicheren Behältnis deponiert. Die Probe wird ohne Verzögerung möglichst noch am Abgabetag durch die Mitarbeiter der Abgabestelle oder durch einen Kurierdienst zu einem qualifizierten analytischen Labor weitergeleitet.

     

  2. Untersuchung der Proben im Labor

    Folgende Laboratorien können Analysen für ein Drug-Checking-Programm durchführen:

    1. stationäre Laboratorien
      Gerichtsmedizinische Institute, Pharmazeutische und Chemische Institute an Universitäten,
      Private Laboratorien, usw.

    2. Apothekenlaboratorien
      Krankenhausapotheken oder speziell ausgerüstete öffentliche Vollapotheken

    3. Mobile Laboratorien
      z.B. Außenstelle eines Gerichtsmedizinischen Instituts oder mobile Zweigapotheke mit besonderer behördlicher Genehmigung (§16 ApoG)

    Die Drogenanalytik findet dezentral in verschiedenen deutschen Laboratorien statt, damit der Weg zwischen Abgabestelle und Labor kurz gehalten, und eine akzeptable Zeitspanne von der Probenabgabe bis zur Ergebnismitteilung erreicht werden kann. Für besonders komplizierte analytische Aufgaben stehen Speziallaboratorien mit entsprechender instrumenteller Ausstattung (z.B. Gaschromatographie gekoppelt mit Massenspektroskopie) zur Verfügung. Alle am Drug-Checking-Programm beteiligten Laboratorien müssen den GLP-Richtlinien (Good Laboratory Practice) der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit) beziehungsweise der EU genügen. In Ringversuchen wird ein einheitlicher analytischer Standard in bestimmten Zeitabständen überprüft. Eine jährliche Fachtagung der beteiligten Laborleiter dient dem organisatorischen und wissenschaftlichen Austausch, insbesondere auch der Vorstellung neuer analytischer Methoden wie auch der Ausarbeitung respektive Ergänzung von analytischen Standards beim Drug-Checking.

    Durch Übermittlung des elektronischen Auftragsscheins per Internet kann das Labor seine Personal- und Gerätekapazitäten optimal vorausplanen. Sobald die Probe im Labor eintrifft, werden die in den Auftragsscheinen vermerkten Daten mit der Probe verglichen. Gegebenenfalls werden die noch nicht aufgenommenen physikalischen Parameter bestimmt. Sollte die Probenabgabestelle kein elektronisches Bild (Scan) einer Tablette oder eines Papiertrips übermittelt haben, wird das Bild im Labor angefertigt. Die vollständige Analyse erfolgt dann unverzüglich. Die Probe wird qualitativ und quantitativ untersucht. Außerdem wird der Grad der Verunreinigung durch Syntheserückstände oder Abbauprodukte etc. bestimmt. Der Teil einer Probe, der bei der Untersuchung nicht verbraucht wurde, wird für zwei Jahre an einem gesicherten Ort im Laboratorium zurückgestellt, damit bei später auftretenden Unklarheiten die Probe nochmals analysiert werden kann. Nach Ablauf dieser Rückstellzeit wird die Probe vollständig und ordnungsgemäß vernichtet. Die Ergebnisse der Analysen, die Daten der Auftragsscheine und ggf. die Abbildungen (Scans) der Proben werden nach einem einheitlichen Schema an die "Bundeskoordinierungsstelle Drug-Checking" per Internet übermittelt. Bei kritischen Proben (Überdosierung, stark verunreinigte Proben, problematische nicht erwartete Substanzen) werden die Nachrichten entsprechend farblich unterlegt oder mit einem Symbol (z.B. "rote Hand") versehen. Zusätzlich hat eine telephonische Benachrichtigung der "Bundeskoordinierungsstelle Drug-Checking" sowie der entsprechenden Abgabestelle zu erfolgen.

     

  3. Der Weg der Information vom Labor zurück zum Konsumenten

    Die "Bundeskoordinierungsstelle Drug-Checking" vergleicht die Angaben des Labors und das Bild der Probe mit den Daten des von der Abgabestelle zugesendeten Auftragsscheins. Bei Unstimmigkeiten recherchiert die "Bundeskoordinierungsstelle Drug-Checking" und veranlaßt wenn nötig eine erneute Analyse aus der zurückgestellten Probe. Können Widersprüche nicht ausgeräumt werden, untersagt die "Bundeskoordinierungsstelle Drug-Checking" eine Veröffentlichung des Testergebnisses. Stimmen die Angaben überein, wird das Analyseresultat in einer bundeseinheitlichen Form (z.B. als Hydrochlorid oder freie Base) ausgegeben. Außerdem vergleicht die "Bundeskoordinierungsstelle Drug-Checking" bei Tabletten das Ergebnis mit zuvor analysierten Proben. Sollte sich die Ergebnisse der Analysen zweier physikalisch nicht unterscheidbarer Tabletten über ein zu tolerierendes Maß hinaus unterscheiden, so veranlaßt die "Bundeskoordinierungsstelle Drug-Checling" die erneute Analyse beider zurückgestellter Proben. Erst wenn bei diesen Überprüfungen die Widersprüche unzweifelhaft ausgeräumt worden sind, verteilt die Koordinierungsstelle die Informationen elektronisch an alle am Drug-Checking-Programm beteiligten Selbstorganisationen, Drogenberatungsstellen, Laboratorien, etc. Die Ergebnisse der Analytik werden von der "Bundeskoordinierungsstelle Drug-Checking" in Listen zusammengestellt und auf einer Homepage veröffentlicht. Diese Internet-Drug-Checking-Listen enthalten das Codewort beziehungsweise den Zahlencode, den Szenenamen, das Abgabedatum, bei Tabletten, Mikrotabletten oder Papiertrips das Bild der Probe (Vorder- und Rückseite), die Masse (Gewicht), den Durchmesser, die Dicke und die Steghöhe (mindestens auf ein Zehntel Millimeter genau) und die chemische Zusammensetzung (qualitative und quantitative Analyse, Grad der Verunreinigung). Testergebnisse von Proben, die nicht den Vorgaben entsprechen oder sonst als problematisch einzustufen sind, werden entsprechend gekennzeichnet und kommentiert. Die Drug-Checking-Listen werden vervielfältigt und zur Drogeninformation sowie zur Pillenidentifizierung eingesetzt. Bei "Problemdrogen" veranlaßt die Koordinierungsstelle die Herstellung und Verteilung von Flyern mit Warnhinweise läßt in den Szenemedien Artikel mit denselben plazieren.

    Ein "Konsument", der eine Probe abgegeben hat, hat verschiedene Möglichkeiten das Analyseresultat dieser Probe zu erfahren:

    1. Bei seiner oder jeder anderen Probenabgabestelle.

    2. Telephonisch bei der Drug-Checking-Hotline der "Bundeskoordinierungsstelle Drug-Checking".

    3. Bei jeder Selbstorganisation, AIDS-Hilfe, Drogenberatungsstelle oder Apotheke, die am Drug-Checking-Programm beteiligt ist.

    4. Im Internet an Hand des Codeworts oder Zahlencodes.

    Beim Drug-Checking vor Ort mit einem mobilen Labor wird nach Abgabe eines kleinen Teils der Probe (z.B. Abrieb einer Tablette) zur Analytik innerhalb kurzer Zeit (zumeist nach etwa einer halben Stunde) das vollständige Testergebnis direkt an der Informationsausgabe des Labors allgemein zugänglich und für jedermann einsehbar öffentlich ausgehängt. Die Testergebnisse des mobilen Labors werden ebenfalls der "Bundeskoordinierungsstelle Drug-Checking" mitgeteilt und wenn möglich von dieser überprüft. Sollte dies aus organisatorischen Gründen nicht möglich sein, weil die Koordinierungsstelle nicht besetzt ist oder weil keine Kommunikationsmöglichkeiten bestehen (z.B. auf einer Open-Air-Party), gleicht das Team des mobilen Labors das von ihm ermittelte Testergebnis mit den Daten der elektronischen Listen oder gedruckten Drug-Checking Listen ab.

     

  4. Bekanntgabe der Drug-Checking-Ergebnisse

    Bei der Übermittlung der Drug-Checking-Ergebnisse an den Konsumenten kann dieser Informations- und Beratungsmöglichkeiten nutzen. Dies erfolgt personalkommunikativ durch geschulte Multiplikatoren vor Ort auf Parties oder in den Büros der beteiligten Organisationen. Information und Beratung werden auch mittels Broschüren, Flyern und über Internetseiten vermittelt. Bei der Ergebnismitteilung sind zwei prinzipiell unterschiedliche Fälle zu differenzieren, die in den folgenden beiden Abschnitten einander gegenübergestellt werden.

     

    1. Klassisches Drug-Checking

      Der "Konsument" hat seine Droge oder einen Teil seiner Droge testen lassen. Das übermittelte Ergebnis entspricht in diesem Fall mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit der tatsächlichen Zusammensetzung der abgegebenen Probe. Fehler können hier durch eine Verwechslung von Proben beim Transport oder im Labor auftreten. Auch sind technisches und/oder menschliches Versagen im Rahmen der Analytik im Labor oder bei der Ergebnisübermittlung als Fehlerquellen nicht immer auszuschließen. Durch die hier beschriebenen Sicherheits- und Kontrollmechanismen sowie ständiger System- und Fehleranalysen geht die Wahrscheinlichkeit solcher zufälligen Fehler jedoch nahezu gegen Null.

       

    2. Pillenidentifizierung

      Ein "Konsument" möchte seine Tablette nicht zum Drug-Checking abgeben, sondern mittels Drug-Checking-Liste identifizieren. Dazu bestimmt er die physikalischen Parameter der Tablette wie Form, Farbe, Aufdruck (Logo) oder Vorhandensein einer Bruchrille. Außerdem ermittelt er Durchmesser, Dicke und Steghöhe seiner Tablette mit einer elektronischen Schublehre auf mindestens einen Zehntel Millimeter genau. Schublehre, Lupe und Waage werden dem "Konsumenten" für diese Aufgabe zur Verfügung gestellt. Eine Gebrauchsanweisung der Gerätschaften und ein Plan zur Vorgehensweise liegt den Drug-Checking-Listen als Hilfe zur Pillenidentifizierung bei. An Hand der Drug-Checking-Listen kann ein "Konsument" so seine Pille selbst einem Testergebnis einer möglicherweise bereits aus der gleichen Charge stammenden Tablette zuordnen und die chemische Zusammensetzung ableiten.

      In der vorliegenden Konzeption wird aus didaktischen Gründen hier ganz bewußt und gezielt auf eine personalkommunikative Begleitung der Pillenidentifizierung verzichtet. Der "Sicherheitsfaktor" Projektmitarbeiter wird durch präzise informative Handlungsanleitungen zur Identifizierung der Pillen ersetzt. So lernt der "Konsument" das genauen Betrachten der Abbildungen von Tabletten und das exakte Studieren der Maßangaben und Formhinweise und wird so befähigt später auch in den (Internet-) Drug-Checking-Listen die dort aufgeführten Angaben zu den Pillen richtig einzuschätzen und zu nutzen. Damit wird dem Prinzip "Förderung der Eigenverantwortung" der Vorzug gegeben. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, den "Konsumenten" darauf hinzuweisen, daß die Pillenidentifizierung kein absolut sicheres Verfahren ist. Durch "Identifizierungsschulungen" für "Konsumenten" kann der persönliche Umgang mit dem nötigen Werkzeug vermittelt werden, z.B. an Informationsständen von Selbstorganisationen an Parties durch Aufnahme der physikalischen Parameter von wirkstoffleeren Tabletten (Placebos) mittels analoger oder digitaler Schublehre in Form von Miniworkshops.

       

  5. Die Bundeskoordinierungsstelle Drug-Checking

    Zur einheitlichen Aufbereitung und flächendeckenden Verteilung der Drug-Checking-Resultate wird eine zentrale Koordinierungsstelle eingerichtet. Diese Einrichtung bereitet die Analysedaten nach einem bundeseinheitlichen Standard auf und versieht, wenn nötig, die Testergebnisse mit Kommentaren oder Warnhinweisen, bevor die Informationen an die Selbstorganisationen oder etablierten Drogenberatungsstellen weitergegeben und im Internet publiziert werden. Dabei soll dem Internet als Informations- und Kommunikationsmedium durch die Einrichtung eines Online-Beratungsangebotes eine wesentliche Rolle zukommen. Die Bundeskoordinierungsstelle Drug-Checking ist auch die Einrichtung, die das Monitoring durchführt. Beim Registrieren neuer "Drogentrends" informiert die Koordinierungsstelle alle am Drug-Checking-Programm beteiligten Einrichtungen und erarbeitet entsprechende Informationsmaterialien. Sie erstellt einen Halbjahresbericht, in dem die Ergebnisse des Drug-Checking-Programms ausgewertet werden.

    Im einzelnen kommen der "Bundeskoordinierungsstelle Drug-Checking" folgende Aufgaben zu:

    1. Aufbereitung der Analyseresultate auf einen vereinbarten Berechnungsstandard (z.B. Mengenangabe der Wirkstoffe als Hydrochlorid oder freie Base).

    2. Bewertung der Reinheit der untersuchten Proben nach einem definierten Schlüssel.

    3. Vergleich der physikalischen Daten einer Probe auf dem elektronischen Auftragsschein einer Probenabgabestelle mit den korrespondierenden Daten auf dem elektronischen Ergebnisformular des Labors. Gleiches gilt ggf. für die Bilder (Scans) der Probe. Bei Nichtübereinstimmung wird recherchiert und wenn nötig die Herausgabe der Resultate "gesperrt".

    4. Vergleich der Analyseresultate äußerlich ähnlich bzw. gleich aussehender Proben mit gleichen physikalischen Maßen. Bei Nichtübereinstimmung hält die Koordinierungsstelle Rücksprache mit den Laboratorien und veranlaßt ggf. weitere Analysen aus den zurückgestellten Proben.

    5. Bei problematischen Testergebnissen (Überdosierungsgefahr, Verunreinigungen, nicht erwartete Substanzen) informiert die Koordinierungsstelle in Zusammenarbeit mit den betreffenden Selbstorganisationen und/oder Abgabestellen regionale und ggf. überregionale Szenemedien (Radio, TV, Printmedien) und veranlaßt die Verteilung von Flyern mit Warnhinweisen.

    6. Dokumentation und Katalogisierung der Testresultate.

    7. Publizierung der Testresultate im Internet.

    8. Zusammenarbeit und Informationsaustausch mit Drug-Checking-Programmen anderer Länder.

    9. Einrichtung einer Drug-Checking-Hotline und einer Online-Beratung, bei denen Testresultate wie auch andere drogenbezogene Informationen abgefragt werden können.

    10. Kooperation mit wissenschaftlichen Forschungsprojekten in Zusammenhang mit Drug-Checking.

    Wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Tätigkeit der Koordinierungsstelle ist die Synchronisation ihrer Arbeit mit der Analytik in den Laboratorien, um eine schnelle Weiterleitung und Kommentierung der Testresultate zu ermöglichen. Die Koordinierungsstelle ruft einmal im Jahr eine Laborleiterkonferenz ein.

    Die Koordinierungsstelle stimmt ihre Tätigkeit mit den Probenabgabestellen und allen anderen am Drug-Checking beteiligten Organisationen ab. Weiterhin ist die Koordinierungsstelle für die Entwicklung von Qualitätsstandards zuständig, anhand derer die Probenabgabestellen zertifiziert werden. Die Abgabestellen erhalten von ihr das Drug-Checking-Logo für den Partystand, die Bürotür oder das Schaufenster.

    Die Koordinierungsstelle kann zusätzlich sukzessive zu einem Pool für Informationen zu Wirkungen und Risiken psychoaktiver Substanzen sowie zu einem Adressenpool von Szeneorganisationen, etablierten Drogenberatungsstellen und qualifizierten Hilfeeinrichtungen im medizinischen und therapeutischen Bereich ausgebaut werden. Ferner ist sie bei der Schulung von Mitarbeitern der Probenabgabestellen und bei der Erstellung von Informationsmaterial (Broschüren, Flyer, Internetseiten) behilflich. Die Koordinierungsstelle führt halbjährlich oder jährlich ein Drug-Checking-Meeting für Vertreter aller am Drug-Checking-Programm beteiligten Organisationen durch.

    Die "Bundeskoordinierungsstelle Drug-Checking" wird von einem eigens zu diesem Zweck gegründeten Trägerverein eingesetzt, konzeptionell beraten und beaufsichtigt. Die im Rahmen des Monitoring erhobenen Daten dürfen nur mit Zustimmung des Trägervereins zu Forschungszwecken verwendet werden, dies soll auch für staatlichen Stellen gelten. Auf diese Weise soll prophylaktisch sichergestellt werden, daß die gewonnen Erkenntnisse über Veränderungen am illegalisierten Drogenmarkt nicht mißbräuchlich, also beispielsweise zur Aktualisierung und Verschärfung von gesetzlichen Restriktionen verwendet werden. Es ist sicher zu stellen, daß die Szeneorganisationen in diesem Trägerverein paritätisch vertreten sind und durch ein Mitspracherecht in die Lage versetzt werden, ihre Fachkompetenz für eine Einbettung des Drug-Checking-Programms in ein umfassendes Konzept zur allgemeinen Förderung der individuellen und kollektiven Drogenmündigkeit einzubringen.

     

     

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    Neue Affinitäten

    "Mit [einer] gesellschaftlichen Situation, in der sich Bedürfnisse nach Individualität und Einzigartigkeit zunehmend vergesellschaften und hedonistischen, identitätsstiftenden und vor allem modulativen Funktionen zunehmend Gewicht beigemessen wird, ist auch eine (neue) Affinität zwischen diesen Entwicklungen und Funktionen und den teilweise illegalen, psychoaktiven Substanzen entstanden, die partielle, absolute Substanz- und Genußverbote unverständlich und damit in ihrer Akzeptanz fragil werden läßt. Gleichwohl aber scheint der über Jahre gewachsene und entwickelte Konsens in bezug auf illegale Drogen so stabil, daß diese immer noch und vielleicht gerade heute eine starke Affinität zu den Herrschaftsinteressen bilden – sie geben ein funktionierende Feindbild ab, was gerade für einen "feindlosen Staat" notwendig zu sein scheint. [...] Schon immer bot die mit der Sunstanz-Einnahme verbundene Intimität und die daraus resultierende Symbolhaftigkeit und Bedeutung für individuelle, soziale und kulturelle Identitäten gern genutzte Ansatzpunkt zur Funktionalisierung von Substanzen und Mitteln für ökonomische oder politische Macht- und Herrschaftsansprüche. In demokratisch-pluralistischen Gesellschaften müssen allerdings gerade die schärfsten Eingriffe in die Selbstbestimmung der Bürger und vor allem die Anwendung der staatlichen Sanktions-ultima-ratio, also von Freiheitsstrafen, stichhaltig begründet werden. Der zur Rechtfertigung der Drogenverbote vorgebrachte Begründungszusammenhang, der sich vor allem auf die vier [...] Säulen der Schädlichkeit der Substanzen, des Suchtpotentials, der Gefährlichkeit der Substanzwirkungen und der Künstlichkeit der Wirkung stützt, wird heute nun sowohl wissenschaftlich als auch in seinen Relationen zu anderen sozialen und gesellschaftlichen Bereichen unhaltbar.

     

    Henning Schmidt-Semisch:
    Die prekäre Grenze der Legalität – DrogenKulturGenuß, München 1994, S. 221.

 

 


Fussnoten:

    1. R. Schiedermair, H.U. Pohl: Gesetzeskunde für Apotheker, 11. Auflage, Frankfurt am Main 1987, S. 203.

    2. H. Hügel, J. Fischer, B. Kohm: Pharmazeutische Gesetzeskunde, 31. Auflage, Stuttgart 1998, S. 135-145.

    3. M. Otto: Analytische Chemie, a.a.O., S. 644; Vgl.: o.A.: Wenn die Umwelt krank macht, Deutsche Apotheker Zeitung Nr. 49/1998, S 35.

    4. R. Schiedermair, H.U. Pohl: Gesetzeskunde für Apotheker, 11. Auflage, a.a.O., S. 303.

    5. http://www.eve-rave.ch/er_test.htm (Pillen 1998, 1999).

    6. B. von Kampen: Das Drogen-Informations-Monitoring-System (DIMS) in den Niederlanden, in: BINAD INFO Nr. 8/1997, a.a.O., S. 7; Vgl.: J. Gandjour, B. Windorfer: Belladonna (Atropin) auf dem Dancefloor, Eve & Rave Information, in: 030 nightlife berlin, 23. Januar 1997.


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