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Drug-Checking-Konzept

für die Bundesrepublik Deutschland
erarbeitet vom techno-netzwerk berlin
für das Bundesministerium für Gesundheit


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Drug-Checking-Konzept für die Bundesrepublik Deutschland
Konzeptioneller Vorschlag zur Organisation von Drug-Checking
Eine Diskussionsgrundlage

 

  1. Strukturbedingungen illegalisierter Märkte

     

Gebraucher illegalisierter Drogen sind, um ihre Konsumentscheidung zu realisieren, auf den Schwarzmarkt angewiesen. Dieser ist durch das Fehlen eines staatlichen Ordnungsrahmens charakterisiert und entzieht sich so jenen gesellschaftlichen Kontrollen, die auf legalen Märkten die Interessen der Beteiligten und Betroffenen schützen . Grundsätzlich führt die Prohibition bestimmter Substanzen zu folgenden Entwicklungen:

  1. Die Kontrolle über Hersteller und Vertreiber der jeweiligen Substanzen geht verloren;
  2. die Preise steigen und
  3. es besteht keine Sicherheit bezüglich der Qualität der Substanz .

Hersteller und Händler illegalisierter Drogen schützen sich vor möglicher Entdeckung, Verhaftung und Strafverfolgung, indem am Handel beteiligte Personen so wenig wie möglich übereinander wissen. Damit werden belastende Aussagen verhafteter Personen, die zu einer Aufdeckung der Handelsstrukturen führen könnten, vermieden. Mit diesem System wird jedoch in Kauf genommen, daß am Handel beteiligte Zwischenhändler die Ware durch billige Zusatzstoffe gewinnbringend strecken oder andere originär gesundheitsschädliche Stoffe verkaufen. Auf anonymisierten Märkten sinkt die Hemmschwelle, Konsumenten schlechte Qualität zu verkaufen. Im Bereich des Ecstasyhandels traten die Probleme eines anonymisierten Schwarzhandels zunächst nicht auf. Da die Ausgangsprodukte für die Ecstasyherstellung bis zum Inkrafttreten des Grundstoffüberwachungsgesetzes (GÜG) am 1. März 1995 erlaubnisfrei und unkontrolliert erworben werden konnten, entstanden Produktions- und Vertriebswege mit Bezug zum Abnehmer. Der Dealer kannte zumeist sowohl seine Kunden als auch den Hersteller der von ihm angebotenen Produkte mit dem Resultat, daß die Reinheit der synthetischen Drogen im Vergleich mit der von Heroin oder Kokain größer war. Mit der starken Verbreitung von Ecstasy änderten sich auch seine Vertriebssysteme. Der lukrative Markt der Partydrogenszene wurde zunehmend von den "klassischen" Dealern übernommen, die bereits die Heroin- und Kokainmärkte beherrschten. Sie verfügen über das nötige Know-how und auch über die finanziellen Mittel, um die Zielgruppe der Partydrogenkonsumenten im Verdrängungswettbewerb für sich zu erschließen . Prohibitive Politik innerhalb der Partydrogen konsumierenden Szenen wirkt sich demnach kontraproduktiv aus: "Anstelle der überwiegend friedlichen und nicht gewaltbereiten Dealer, die nicht in Banden organisiert sind und vornehmlich nur Ecstasy im Angebot haben, auf die aber nicht zuletzt wegen ihrer unprofessionellen Arbeitsweise ein relativ leichter polizeilicher Zugriff möglich ist, rücken zunehmend ausländische, straff organisierte und auch vor Gewalt nicht zurückschreckende Dealergruppen nach, die neben Ecstasy und psychedelischen Drogen auch Kokain und Heroin anbieten und zudem auch auf anderen Gebieten (Waffenhandel, Scheckkartenbetrug etc.) eine hohe kriminelle Energie entwickeln und auf die letztlich Merkmale der organisierten Kriminalität zutreffen ."

Für die Konsumenten ist der Verlust einer Qualitätskontrolle mit ernsthaften Gefahren verbunden. Weder durch das Arzneimittelgesetz (AMG), noch durch das Lebensmittelgesetz werden die Gebraucher illegalisierter psychoaktiver Substanzen geschützt . Somit besteht keinerlei Gewähr dafür, daß die von den im Untergrund wirkenden Drogenküchen hergestellten und von Schwarzmarkthändlern angebotenen Substanzen chemisch rein sind, das heißt keine durch den Produktionsprozeß eventuell entstandenen Verunreinigungen enthalten oder überhaupt die gewünschte Substanz beinhalten. Auch besteht keinerlei Wissen über die Konzentration des Wirkstoffes .

Beispielsweise die zur Streckung von Ecstasypulver benutzten Stoffe bei der Darreichungsform in Kapseln, mangelhafte Synthesen in der Produktion und die Unsicherheit über die Dosierung der Wirkstoffe in den Ecstasypillen stellen Gefährdungspotentiale für die Konsumenten dar. So führt Fromberg das Auftreten akuter Lebervergiftungen nach Ecstasykonsum auf das Vorhandensein von Verfälschungen und toxischen Nebenprodukten in Ecstasypillen zurück .

Ein weiteres Problem stellen die unterschiedlichen Wirkstoffkonzentrationen dar. Wird von einer Einzeldosierung von 80 bis 150 mg MDMA für einen erwachsenen Menschen ausgegangen , so könnte es durch die unterschiedlich hohen Dosierungen der Pillen auf dem Schwarzmarkt zu gesundheitsgefährdenden Überdosierungen kommen. Nimmt man zum Beispiel an, ein Konsument erwirbt drei Ecstasypillen mit einer Wirkstoffkombination von je 30 mg, so wird er nach der Einnahme einer solchen Pille die von ihm erwartete Wirkung nicht spüren können. Nach einer Stunde wird er vermutlich eine weitere Pille zu sich nehmen, da der erhoffte Erlebnisgewinn ausbleibt. Auch nach dieser erneuten Einnahme ist die Wirkstoffkonzentration für ein intensives Erleben noch zu gering. Wahrscheinlich wird er nach einer weiteren Stunde die dritte Pille einnehmen. Erst jetzt ist mit einer Dosierung von 90 mg MDMA ein leichter Rauschzustand für den Konsumenten spürbar. Ein Wochenende später kauft sich dieser Konsument wieder drei dem Aussehen nach ähnliche Pillen vom selben Händler. Doch nun weisen die von ihm erworbenen Pillen eine Einzeldosis von je 100 mg auf. Seine Erfahrungen vom vorangegangenen Wochenende werden ihn vielleicht dazu animieren, gleich zwei oder alle drei Pillen auf einmal zu konsumieren. In diesem Fall läge er mit seiner Konzentration von 200 mg bzw. 300 mg erheblich über der üblichen Einzeldosierung und befände sich nahe einer toxischen Gefährdung durch den Wirkstoff .

 

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Drogenpolitik

"Die beiden Imperative, die das gesellschaftliche Drogenverhalten grundlegend bestimmen, das Konsumgebot des Marktes und das Konsumverbot der Prohibition, weisen unverkennbar in entgegengesetzte Richtungen. Die Drogenprohibition, die den Markt einschränken oder sogar ausschalten will, erzeugt wieder einen neuen Markt, der ganz den Marktimperativen folgt und dessen ohnehin schon schwarze Seiten durch die Bedingungen der Illegalität noch weiter verdunkelt werden.

Prohibition und Schwarzmarkt nehmen dem Individuum und der Gemeinschaft Kompetenzen weg, enteignen sie, berauben sie des genauen Wissens um die Droge und der freien Entscheidung für oder gegen sie. Verführung und Verbot rechnen gleichermaßen mit dem schwachen Individuum und der zerstörten Gemeinschaft, setzen sie ebenso voraus wie sie sie erzeugen. Rücksichtsloser Absatz und rücksichtslose Verfolgung nehmen das Individuum nicht mehr als Zweck; für sie ist es nur ein Mittel, durch welches sie ihre eigenen Zwecke verfolgen."

 

Sinngemäß zitiert nach: Christian Marzahn: Bene Tibi – Über Genuß und Geist, S. 18 f.

 


Fussnoten:

  1. Vgl. zu den Interessenstrukturen auf illegalen Märkten: K.-H. Hartwig, I. Pies: Rationale Drogenpolitik in der Demokratie. Wirtschaftswissenschaftliche und wirtschaftsethische Perspektiven einer Heroinvergabe, Tübingen 1995, S.60ff.

  2. J. Neumeyer, H. Schmidt-Semisch: Für das Recht auf Genuß – Ecstasy legal, in: J. Neumeyer, H. Schmidt-Semisch (Hg): Ecstasy – Design für die Seele?, Freiburg 1997, S.272.

  3. Presse- und Informationsdienst der Bundesregierung (Hg.): Politik gegen Drogen, Bonn 1996, S.4.

  4. B. van Treeck: Gesellschaftspolitische Aspekte im Umgang mit Partydrogen, in: B. Van Treeck (Hg.): Partydrogen. Alles Wissenswerte zu Ecstasy, Speed, LSD, Cannabis, Kokain, Pilzen und Lachgas, Berlin 1997, S. 50 f; Vgl. zu Produktion und Handel von Ecstasy: J. Neumeyer: Die Enfants terribles der Drogenpolitik. Interviews mit Dealern und einem Produzenten, in: J. Neumeyer, H. Schmidt-Semisch (Hg): Ecstasy – Design für die Seele?, a.a.O., S.119-147.

  5. J. Kunkel, J. Neumann: Tausend Mark ...Geldstrafe für eine Pille. Wollen Politik und Justiz nun auch die Technoszene mit Kriminalisierung und Verfolgung überziehen, also einen Weg beschreiten, der sich schon im Umgang mit Heroin als wenig hilfreich erwiesen hat?, in: Aktuell. Magazin der Deutschen AIDS-Hilfe, Nr.13 Berlin 1995, S.20.

  6. J. Neumeyer, H. Schmidt-Semisch: Für das Recht auf Genuß – Ecstasy legal, in: J. Neumeyer, H. Schmidt-Semisch (Hg): Ecstasy – Design für die Seele?, a.a.O., S.273.

  7. H. Cousto: Vom Urkult zur Kultur. Drogen und Techno, Solothurn 1995, S.159.

  8. E. Fromberg: Die Pharmakologie und Toxikologie von MDMA, in: J. Neumeyer, H. Schmidt-Semisch (Hg): Ecstasy – Design für die Seele?, a.a.O., S.163.

  9. H. Cousto: Drug-Checking. Qualitative und quantitative Kontrolle von Ecstasy und anderen Substanzen, zweite überarbeitete und aktualisierte Auflage, Solothurn 1999, S.95.

  10. P. Märtens: Angebote und Erfahrungen des Jugend- und Drogenberatungszentrums Hannover auf Raves – Drobs-Info-Mobil, Aufklärungsmaterialien und Pillenidentifikation, in: M. Rabes, W. Harm (Hg.): XTC und XXL. Ecstasy. Wirkungen, Risiken, Vorbeugungsmöglichkeiten und Jugendkultur, Reinbeck bei Hamburg 1997, S.193.


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