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Drug-Checking -
sinnvolles Instrumentarium der Drogenhilfe?

Dipl.-Arbeit für die Prüfung zum Erwerb des Akademischen Grades Dipl.-Sozialarbeiter/- Sozialpädagoge
eingereicht von Axel Mähler


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8. 4   Liberalisierung - Verursacher von »Drogenfluten«?

Der Dipl.-Sozialwissenschaftler Dr. Heino Stöver hält die Angst vor einem »Dammbruch« infolge drogenpolitischer Maßnahmen, die in Richtung Liberalisierung und Legalisierung weisen, allerdings generell für unangemessen. Er verwendet drei Beispiele, um zu verdeutlichen warum:

»Die Entkriminalisierung von Cannabisprodukten in den Niederlanden seit den 70er Jahren beispielsweise hat nicht zu einem Dammbruch geführt - im Gegenteil: die holländische Regierung teilt mit, daß sich der Anteil der Cannabiskonsumenten - trotz der weiten Verbreitung von sogenannten Coffieshops in nahezu jeder Stadt, in denen Cannabisprodukte verschiedenster Zubereitung und Herkunft problemlos erworben und konsumiert werden können - in der jugendlichen Bevölkerung stabilisiert hat

»Seit 1978 haben elf US-Bundesstaaten Marihuanagebrauch dekriminalisiert, 30 weitere Staaten haben bei der erstmaligen straffälligen Auffälligkeit auf Inhaftierung und Eintragung ins Strafregister verzichtet. Gleichwohl hat es seit 1978 einen erheblichen Rückgang beim Marihuanagebrauch in allen Altersgruppen gegeben


Wenngleich man im Falle des letzteren Beispiels nicht eindeutig sagen kann, was tatsächlich den Rückgang des Marihuanagebrauchs bewirkt hat, so ist doch unbestreitbar, daß die Lockerungen der Gesetze diesen Rückgang nicht verhindert haben. Auch am Beispiel des im Vergleich mit Cannabis weitaus gefährlicher eingestuften Kokains versucht Stöver zu verdeutlichen, daß die Angst vor einem »Versinken in der Drogenflut« infolge eines liberaleren Umgangs mit den gegenwärtig illegalisierten Substanzen unbegründet ist:

»Die Forschungen von Cohen (1993) über integrierten und unauffälligen Kokaingebrauch in Amsterdam geben Anhaltspunkte dafür, wie sich der Kokaingebrauch nicht nur bei einer leichten Zugänglichkeit, sondern auch bei einem legalen Zugang entwickeln würde. Etwa 5% der Bevölkerung von Amsterdam hat jemals Kokain gebraucht; drei Viertel davon haben es nicht öfter als 25mal konsumiert und müssen als gelegentliche oder experimentierende Gebraucher betrachtet werden. Auch andere Forschungsergebnisse scheinen zu bestätigen, daß nur etwa jeder zehnte Gebraucher zu dauerhaftem kontinuierlichem, gegebenenfalls hochdosiertem Gebrauch dieser Droge übergeht. Selbst wenn sich also bei legalisierter Zugänglichkeit die Zahl der Jemals-Gebraucher stark erhöhen würde, ist davon auszugehen, daß nur ein geringer Prozentsatz regelmäßig Kokain konsumieren und möglicherweise Probleme und ein Selbstbild als »Problemgebraucher« entwickeln würde. [...] Cohen vertritt die These, es sei nicht die leichte Verfügbarkeit einer Droge, die uns anziehe, sondern ihr (sub-)kulturelles Image


Weiterhin kritisiert Stöver die Argumentation der Gegner von Liberalisierungsmaßnahmen dahingehend, daß diese völlig die Möglichkeit von »... rational nachvollziehbare[n] Gegensteuerungen im Präventions- beziehungsweise allgemeinen Gesundheitsförderungsbereich... .« ausblenden würde. Außerdem übersehe man »... vielfach die Kontroll- und Selbstregulationskompetenzen der Drogengebraucher selbst

 

 

8. 5   Zum Konsumgebot des legalen Drogenmarktes

Hartnäckigerweise mag man nun einräumen, daß einerseits vielleicht nicht gerade das Versinken in einer Drogenflut die Folge von Liberalisierungsmaßnahmen sei, der Vergleich zwischen legalen und illegalisierten Drogen aber immerhin darauf verweise, daß die konsequente Umsetzung der Prohibition dennoch ein wirksames Mittel darstelle, um die weite Verbreitung von Drogen sowie das Ausmaß der damit verbundenen Probleme wirksam einzudämmen. Christian Marzahn folgend ist dies jedoch ein Trugschluß, da aus seiner Sicht das volle Ausmaß der Probleme im Umgang mit den legalen Drogen weniger aus dem Mangel an repressiven Maßnahmen erwächst, sondern vielmehr aus dem Konsumgebot des legalen Drogenmarktes: Er weist in seinem »Plädoyer für eine gemeine Drogenkultur« darauf hin, daß unser Umgang mit den legalen Drogen bzw. Genußmitteln (Kaffee, Tee, Tabak, Alkohol) wesentlich vom sog. »Marktimperativ« bestimmt ist:

»So natürlich uns die Vermarktung der Drogen auch erscheint [...] so nachhaltig hat sie den Drogengebrauch verändert. [...] Jedoch unterliegt die warenförmige Produktion und Distribution von Drogen grundsätzlich allen Gesetzmäßigkeiten der industriellen Warenproduktion. Auch hier ist der Produzent in erster Linie an der Realisierung des Tauschwerts interessiert, das heißt an Profit, Absatz und Expansion. Der Gebrauchswert ist ihm nur Vehikel. Der Marktimperativ, auch bezogen auf Drogen, ist also im Kern ein Konsumgebot mit einer immanenten Tendenz zur Steigerung. Je mehr Verbrauch, je mehr Absatz, je mehr Profit, desto besser. Dies ist bekanntlich auch der Grund, weshalb industrielle Drogenwerbung nicht Information ist, sondern Animation bis zur Täuschung. Dies ist aber auch der Grund, weshalb wir gerade im Gebrauch unserer Alltagsdrogen historisch eine stetige Erweiterung der Konsumentengruppen - Männer, Frauen, Jugendliche, Kinder - sowie eine Intensivierung des Drogenkonsums durch Beschleunigung und Konzentration beobachten: von der geruhsamen Pfeife über die Zigarre zur nervösen Zigarette [...]; vom Kräutertee zur Pille; vom Tropfen für Tropfen gefilterten Mocca zum Espresso; vom Wein zum Schnaps. Der gesellige und besinnliche Genuß ist dem Schnellkonsum gewichen. Die primäre Orientierung auf den Tauschwert, die der kapitalistischen Produktionsweise eigen ist, hat zur Folge, daß der Produzent am Abnehmer seiner Waren nur als Abnehmer interessiert ist. Nicht etwa als Mensch in seiner Gesamtheit


Mit einem Blick auf die Ausgaben für die Bewerbung von alkoholischen Getränken und Tabakwaren läßt sich das Konsumgebot des Marktes veranschaulichen: Die Werbeausgaben für alkoholische Getränke lagen im Jahr 1998 bei 1,2 Mrd. DM. Damit war die Alkoholbranche mit ca. 2% an sämtlichen Werbeausgaben der deutschen Wirtschaft beteiligt. Die gesamten Werbeausgaben der Tabakindustrie beliefen sich 1997 auf ca. 682 Mio. DM, eine ebenfalls nicht ganz unbedeutende Summe .

Ausführlich äußert sich auch Hermann Schlömer zum Konsumgebot des legalen Drogenmarktes. Er geht zunächst davon aus, daß die Verteufelung der illegalisierten Drogen ablenkt von den Risiken der legalen Drogen und zu deren Verharmlosung führt . Infolge dieser Verharmlosung jedoch sind aus Schlömers Sicht inzwischen sozial verantwortungslose und zu kritisierende Spielräume für die Werbung, den Verkauf, die Abgabe und den Konsum der legalen Drogen entstanden:

»Die drogenpolitische Kehrseite der Prohibition sind gesetzliche Regeln und eine breite gesellschaftliche Toleranz von Regelverstößen, die es den Herstellern, Händlern und Verkäufern der legalen Drogen gestattet, in aufdringlicher, allgegenwärtiger, pausenloser und zum Teil verantwortungsloser Manier Alkoholika, Tabakwaren, Psychopharmaka an die Frau, den Mann und auch das Kind zu bringen. Während ein rigoroses Konsumverbot in bezug auf die illegalisierten Drogen betrieben wird, gilt im Bereich der legalen Drogen fast ein Konsumgebot, dem sich kaum jemand leicht entziehen kann. [...] Unter ständiger Mißachtung jugendschutzgesetzlicher Bestimmungen wird in dieser Gesellschaft der Verkauf von sogenannten weichen und auch harten Alkoholika an Kinder allzu oft praktiziert und toleriert. Trotz eindeutiger Belege für einen hohen Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und schweren Verkehrsunfällen wird leidenschaftlich an dem Promille-Spielraum für Alkohol trinkende AutofahrerInnen festgehalten . Wir leisten uns Alkoholverkauf an Tankstellen, mit anderen Worten: Abfüllstationen auch für Autochauffeure. [...] Die Bundesrepublik weist weltweit die höchste Dichte von auch Kindern zugänglichen Zigarettenautomaten auf. Wo bleibt da der Jugendschutz? Diverse Untersuchungen belegen die massenhafte, gewinnorientierte oder unreflektierte ärztliche Verschreibung bzw. anderweitige Abgabe von Psychopharmaka an Erwachsene und Kinder. Was das letztere betrifft, so wird von einigen Psychopharmakaherstellern skrupellos und ungestraft für die Verabreichung von Psychopharmaka an Kinder mit psychosozialen Verhaltensauffälligkeiten und Schulschwierigkeiten geworben [...], suchtriskante Verhaltensweisen angebahnt und so die freie Entfaltung der gesundheitlichen Entwicklung der Kinder gefährdet. Hinzu kommen die verlogenen Versprechungen, mit denen für den Kauf von Alkoholika und Tabakwaren geworben werden darf und die mit den gesellschaftlich gängigen Leitbildern hinsichtlich des Gebrauchs der legalen Drogen einhergehen. Werbeslogans wie »Come together« vermitteln, die Nikotinzigarette sei ein entscheidendes Medium der Völkerverständigung. Trinkfestigkeit wird als unverzichtbarer Männlichkeitsnachweis verkauft. Für viele Menschen in diesem Lande ist das feierliche Begehen festlicher oder erfreulicher Ereignisse ohne exzessiven Alkoholkonsum kaum vorstellbar. Kinder und Jugendliche erleben insgesamt eine Erwachsenengesellschaft, in der soziale Anerkennung, Entspannung und Erleichterung bei Konflikten und Beschwerden jedweder Art oft nur noch oder vorzugsweise mittels des Konsums legaler Drogen angestrebt wird und vielfach in Suchtproblemen mündet


Neben dem Konsumgebot des legalen Drogenmarktes, trägt zudem der - zum Teil sicherlich aus der Wirkung des Konsumgebots resultierende - hohe soziale Druck zum Gebrauch der legalen Drogen seinen Anteil bei, wenn es um die weite Verbreitung dieser Substanzen sowie der damit verbundenen enormen Probleme geht . Es sei in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, daß die Fähigkeit »viel zu Vertragen« - gemeint ist die Menge des Alkohols - auch heute noch innerhalb nicht weniger sozialer Gruppen als eine besondere Tugend betrachtet wird. »Viel zu vertragen« wird vielfach als eine besonders männliche Eigenschaft angesehen, wer den (exzessiven) Alkoholkonsum ablehnt gilt als »Weichei«. Machen wir uns klar, was das zu bedeuten hat: »Viel zu Vertragen« hat u.a. etwas mit einer Toleranzbildung zu tun, die - vor allem wenn man beim »Kampftrinken« als Sieger hervorgehen möchte - zu einer problematischen Dosissteigerung führen kann. Problematisch deshalb, weil der langdauernde Konsum größerer Alkoholmengen funktionelle, im späteren Stadium oft auch irreversible Schäden verursacht, die zu einem bunten Bild von Folgekrankheiten führen. Hierzu zählen, um nur ein paar wenige zu nennen: Fettleber, Leberzirrhose, Tremor, Kleinhirnatrophie, Epilepsie, Kardiomyopathie, Blutarmut, Krebs, verschiedene Stoffwechselstörungen, Psychose, Delirium tremens, Halluzinose. Schließlich entsteht im Fall von Alkohol bei Abstinenz nach längerem, kontinuierlichen Gebrauch ein Entzugssyndrom, welches mindestens sehr unangenehm, im Extremfall sogar lebensgefährlich ist, und das deshalb zu einer Wiederaufnahme des gesundheitsschädigenden Konsumverhaltens führen kann . Das Beispiel verdeutlicht, auf welche Weise der soziale Druck zum Konsum von Alkohol zur Verbreitung der damit assoziierten Problem beitragen kann.

 

 

8. 6   Zusammenfassung

Obige Ausführungen stellen den Erfolg des Betäubungsmittelgesetzes in seiner jetzigen Form mehr als nur in Frage. Steigende Konsumentenzahlen sowie Befragungen von sowohl Nicht-Konsumenten als auch Konsumenten illegalisierter Drogen verweisen darauf, daß der general- bzw. spezialpräventive Anspruch der strafrechtlich orientierten Drogenpolitik gescheitert ist. Der rechtliche Status einer Substanz spielt nur eine äußerst untergeordnete Rolle bei der Entscheidung der Frage, ob sie im Einzelfall konsumiert wird oder nicht. Logisch folgt daraus, was auch anhand von konkreten Beispielen belegt werden konnte, daß nämlich Liberalisierungsmaßnahmen nicht zwangsläufig steigende Konsumentenzahlen oder gar »Drogenfluten« nach sich ziehen. Jenes unter dem Hinweis auf das riesige Ausmaß der mit legalen Drogen verbundenen Probleme hervorgebrachte Gegenargument, wonach »ohne Strafandrohung und -verfolgung ja alles auch noch viel schlimmer kommen könnte«, kann nur bei sehr oberflächlicher Betrachtung überzeugen. Bei näherem Hinsehen erweist sich das gesellschaftliche Verhalten in bezug auf die legalen Drogen als grundlegend vom Konsumgebot des Marktes bestimmt. Probleme im Umgang mit den legalen Drogen resultieren deshalb vor allem aus Verführung, Täuschung und Animation durch die industrielle Drogenwerbung, wohl außerdem auch noch aus dem damit in Zusammenhang stehenden sozialen Druck zum Konsum dieser Substanzen, nicht aber aus dem Mangel an repressiven Maßnahmen.

Die Befürchtung »Drug-Checking« könne bedeutsame strafrechtliche Dämme brechen lassen und Drogenfluten heraufbeschwören, erweist sich als unbegründet. Dies zum einen deshalb, weil wie gezeigt der vermutete strafrechtliche Damm gar kein Damm, sondern allenfalls ein nicht besonders großer Stein in einem Fluß ist, somit also gar nicht brechen kann. Zum anderen werden Drogenfluten, wie ebenfalls dargestellt wurde, vor allem durch eine aggressive Vermarktung dieser Substanzen ausgelöst. »Drug-Checking« stellt aber gerade das Gegenteil einer aggressiven Vermarktung von Drogen dar: Verantwortlich gehandhabt ermuntert »Drug-Checking« weder zum Konsum von psychoaktiven Substanzen, noch verführt es dazu. Auch trägt es nicht in fataler Weise zur Verharmlosung von Drogen bei. Vielmehr schärft es bei potentiellen Konsumenten das Bewußtsein für das Gefahrenpotential einer Droge und regt zu einer vertieften Reflexion des eigenen Konsumverhaltens an. Kontrolliertes, reflektiertes und risikominimiertes Konsumverhalten wird auf diese Weise gefördert. Dies zumindest belegt die von Schroers zitierte empirische Untersuchung, die sich u.a. mit den Auswirkungen von »Drug-Checking« auf das Konsumverhalten beschäftigte.

 


Fußnoten:
  1. H. Stöver, In: Wider besseres Wissen. Bremen 1996, 103 .
  2. H. Stöver, ebd .
  3. H. Stöver, ebd .
  4. H. Stöver, In: Wider besseres Wissen. Bremen 1996, 105 .
  5. H. Stöver, ebd .
  6. Christian Marzahn: Bene Tibi. Bremen 1994, 15f .
  7. Vgl. DHS (Hrsg.), Jahrbuch Sucht 2000, 15 .
  8. Vgl. DHS (Hrsg.), Jahrbuch Sucht 2000, 33 .
  9. Vgl. Hermann Schlömer in: Wider besseres Wissen. Bremen 1996. 147 .
  10. Trotz des bekannten hohen Schadens durch Alkoholkonsum im Straßenverkehr hat man nicht die DDR-Grenze von 0,0 oder den Kompromiß von 0,5 Promille übernommen. Dies scheint ein gutes Beispiel dafür zu sein, wie weit die drogenindusriellen Interessen in die Politik hineinreichen .
  11. Hermann Schlömer in: Akzept, Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik e.V.: Menschenwürde in der Drogenpolitik. Hamburg 1993, 191f .
  12. Vgl. H. Stöver, In: Wider besseres Wissen. Bremen 1996, 110 .
  13. Vgl. Sebastian Scheerer, Irmgard Vogt (Hrsg.): Drogen und Drogenpolitik. Frankfurt; New York 1989, 111 .

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