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Drug-Checking -
sinnvolles Instrumentarium der Drogenhilfe?

Dipl.-Arbeit für die Prüfung zum Erwerb des Akademischen Grades Dipl.-Sozialarbeiter/- Sozialpädagoge
eingereicht von Axel Mähler


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»Wer heute gegen die Drogenlegalisierung ist, steht im Verdacht, an der Prohibition zu verdienen«

Deutsches Sprichwort

 

 

 

2.   Die Bedingungen des Drogenschwarzmarktes
    als Ausgangspunkt für Drug-Checking


Wie wirkt sich die Illegalisierung einer zuvor legal erhältlichen Substanz eigentlich aus, auf die Substanz selbst (z.B. hinsichtlich Qualität und Verfügbarkeit), aber auch auf die Situation ihrer Konsumenten? Auf diese Frage möchte ich im nun folgenden Kapitel näher eingehen. Einführend sollen die Folgen der Illegalisierung einer psychoaktiven Substanz (in diesem Fall geht es um Ecstasy) anhand von Ausschnitten eines Interviews - geführt mit einem ehemaligen Ecstasy-Dealer - lediglich angedeutet und erst danach genauer analysiert werden. Vollständig abgedruckt befindet sich das Interview im Buch »Ecstasy - Design für die Seele«, erschienen im Lambertus-Verlag:


F: »Wie würdest Du die Qualität des Stoffes damals [1985, also zu einem Zeitpunkt als Ecstasy (MDMA) noch nicht als Betäubungsmittel galt, d. Verf.] beschreiben?«

A: »Was ich damals gehabt habe war reines MDMA. Es ist selten, daß heute eine Substanz solch eine Reinheit hat, wie das, was wir damals bekommen haben. Heute machen 100 verschiedene Sorten die Runde. Damals gab es höchstens zwei bis drei Sorten, die man überhaupt bekommen konnte...«.

F: »Im Vorgespräch hast Du erzählt, daß Du Ecstasy weitergegeben hast, Du warst Dealer. Wie kam das?«

A: »(...) Das war so 1986. Am Anfang gingen die Leute eher unschuldig damit um. Weil es eben legal war. Es gab keine Kriminalisierung. Zu der Zeit konnte man relativ offen darüber reden. Dann wurde es irgendwann zum BtM. Die Folge war, daß jetzt verschiedene Sorten auf dem Schwarzmarkt auftauchten, von denen wir überhaupt nicht mehr sicher waren, ob es reines MDMA war. Die waren zwar als Ecstasy deklariert, hatten aber definitiv andere Wirkungen, waren teilweise speediger in der Wirkung, teilweise auch mit Nebenwirkungen, die vorher nicht dabei waren. Alles unter dem Namen Ecstasy. Dann ist etwas interessantes passiert: Aus der Szene heraus, die im Stillen damit experimentiert hatte, gelangte das mehr und mehr in die breiteren, großen Schichten - es wurde mehr Leuten zugänglich gemacht. Es war dann nicht mehr unbedingt gewährleistet, daß die Substanz hundertprozentig rein war oder daß die Leute das mit dem entsprechenden Set und Setting mitbekommen haben. Ich selbst habe immer noch versucht, den Leuten Informationsmaterial zur Verfügung zu stellen, die Leute aufzuklären [...] . [...] Durch die Kriminalisierung mußte man einfach immer vorsichtiger und noch vorsichtiger werden, wem man wo, wann, was darüber erzählt. Man hatte plötzlich mit dem Problem zu tun, daß man nicht mehr sicher sein konnte, daß jede Pille, die auftauchte, auch wirklich das enthält, was drin sein soll.«

F: »Was passierte, als Ecstasy illegalisiert wurde?«

A: »Die größte Katastrophe, die in meinen Augen passiert ist, war, daß das Element von Angst reinkam. [...] Es wurde halt immer schwieriger, offene Aufklärung zu betreiben, was mit der Substanz überhaupt möglich ist, und was man lieber unterlassen sollte. [...] Man konnte nicht mehr öffentlich darüber reden. Man mußte plötzlich darauf achten, wem man was, wann, wo erzählt. Man mußte auf Tauchstation gehen. Man war plötzlich nicht mehr sicher, ob die Leute, die auf einen zukommen, Zivilbullen sind oder irgendwelche Haie in der Mafia. [...] Am Ende meiner Zeit war es so, daß ich mit knallharten Leuten zu tun hatte, die möglichst schnell möglichst viel Geld verdienen wollten und nicht mehr das kannten, was sie unter die Leute brachten. Die das vielleicht auch gar nicht kennenlernen wollten, denen das egal war«.

F: »Wie sollte Deiner Meinung nach mit Ecstasy umgegangen werden?«

A: »Nicht nur mit Ecstasy - mit allen Drogen. [...] Es muß Aufklärung geschaffen werden, Aufklärung, Aufklärung und nochmal Aufklärung, was die Möglichkeiten und die Gefahren einer Substanz sind. Es muß Leute und Stellen geben, die andere Leute in den Gebrauch dieser Substanz einführen. [...] Es muß gewährleistet sein, daß absolut sauberes Material auf dem Markt ist. Es muß immer Kontrollen geben. Lebensmittelkontrollen, Drogenkontrollen. Ich glaube auch, daß der ganze Schwarzmarkt verschwinden muß. Die Strukturen, die nur auf Business aus sind, müssen da raus. Wer Drogen kriminalisiert, der hat letztendlich ein Interesse daran, daß es sowas wie eine Drogenmafia gibt


Aus den Interview-Ausschnitten geht u.a. hervor, daß die Prohibition - d.h. das Verbot einer psychoaktiven Substanz - einen Schwarzmarkt hervorruft, dessen hervorragendstes Merkmal die Tatsache ist, daß der dortige Erwerb eben jener dann verbotenen Substanz immer auch mit einer großen Unsicherheit verbunden ist, was deren Qualität und Dosierung bzw. Wirkstoffkonzentration angeht. Im Fall der Illegalisierung von Ecstasy (MDMA) war das stark vermehrte Auftreten von Pillen mit höchst unterschiedlicher Qualität die Folge der Illegalisierung dieses Stoffes. Plötzlich verursachten die Pillen zuvor nicht gekannte Wirkungen und Nebenwirkungen, die man auf verschiedene Verunreinigungen der ehemals reinen MDMA- bzw. Ecstasypillen zurückführte. Die Konsumbedingungen, denen sich trotz des Verbots zum Ecstasygebrauch entschlossene Personen aussetzen mußten, hatten sich damit erheblich verschlechtert, da es nun zum Glücksspiel wurde, ob man eine gesundheitlich eher unbedenkliche oder aber riskante Pille »erwischte«. Es soll nun folgend ausführlich dieser Zusammenhang zwischen Prohibition und Verlust der Sicherheit / Kontrollmöglichkeit hinsichtlich der Qualität der illegalisierten Substanzen dargestellt werden:

 

 

2. 1   Zum prohibitionsbedingten Verlust der (staatlichen)
       Kontrolle über Hersteller, Vertreiber und Qualität der
       illegalisierten Substanzen

In den Ausschnitten des Interviews nimmt der Interviewte nicht zufällig die problematische Verunreinigung des Ecstasy-Schwarzmarktes als zeitliche Folgeerscheinung der Illegalisierung dieser Substanz wahr. Vor der Illegalisierung von Ecstasy handelte es sich bei den Ecstasy-Produzenten in Deutschland und Holland noch um »ehrbare« Bürger, zumeist qualifizierte Chemiker, die für den Eigengebrauch - einschließlich Freundeskreis - produzierten. Die Qualität des Produkts war gut, finanzieller Gewinn nicht das primäre Motiv . Die Ecstasy-Dealer kannten zumeist sowohl ihre Kunden als auch die Hersteller der von ihnen angebotenen Produkte, und da man sich kannte, wollte und konnte es sich niemand leisten, dem anderen schlechte »Ware« zu verkaufen. Entsprechend war auch die Reinheit von Ecstasy im Vergleich zu den damals bereits illegalisierten Drogen Heroin oder Kokain viel größer. Die Folgen der Ecstasy-Prohibition waren dann jedoch verheerend: Einhergehend mit dem Verbot von Ecstasy und dem Anwachsen polizeilicher Repression, zogen sich die idealistisch orientierten, verantwortungsbewußteren Produzenten und Dealer von Ecstasy (MDMA) zunehmend vom Markt zurück, um einem allein auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Drogenverteilungssystem das durch die Illegalisierung besonders lukrativ gewordene Feld des Ecstasy-Verkaufs zu überlassen . Dies ist verständlich, will doch der »ehrbare« Bürger sich nicht dem Risiko einer Strafverfolgung aussetzen. Das Ecstasy-Verteilungssystem wird seitdem überwiegend von den »klassischen«, bereits die Heroin- und Kokainmärkte beherrschenden Dealern dominiert, die über das nötige Know-how sowie über die finanziellen Mittel verfügten, um den entstandenen Verdrängungswettbewerb auf dem Gebiet der Partydrogen für sich zu entscheiden. Die prohibitive Politik bewirkte also eine kontraproduktive Veränderung des Vertriebssystems von Ecstasy:

»Anstelle der überwiegend friedlichen und nicht gewaltbereiten Dealer, die nicht in Banden organisiert sind und vornehmlich nur Ecstasy im Angebot haben, auf die aber nicht zuletzt wegen ihrer unprofessionellen Arbeitsweise ein relativ leichter polizeilicher Zugriff möglich ist, rücken zunehmend ausländische, straff organisierte und auch vor Gewalt nicht zurückschreckende Dealergruppen nach, die neben Ecstasy und psychedelischen Drogen auch Kokain und Heroin anbieten und zudem auch auf anderen Gebieten (Waffenhandel, Scheckkartenbetrug etc.) eine hohe kriminelle Energie entwickeln und auf die letztlich Merkmale der organisierten Kriminalität zutreffen


»Um [die aus der Illegalisierung resultierenden, d. Verf.] Risiken möglicher Verhaftung zu minimieren, wird von den Drogenproduzenten und Händlern viel Wert darauf gelegt, daß die am Handel Beteiligten so wenig wie möglich voneinander wissen. So kann keiner den anderen belasten .« Nachteil des fehlenden Kontakts und dem so anonymisierten Markt ist,daß Produzenten und Zwischenhändler weniger Hemmungen haben, schlechte Qualität an den Mann zu bringen bzw. die Ware durch billige Zusatzstoffe gewinnbringend zu strecken. Unbekannten verkauft man eher schlechte Ware als Freunden . Nach der Illegalisierung von Ecstasy kam es so z.B. vor, daß große Mengen Amphetamin als Ecstasy verkauft wurden, oder bekannte Ecstasy- (MDMA)Tabletten guter Qualität in gleicher Form, Farbe und Größe aus anderen Stoffen nachgemacht wurden . Die zunehmende Variabilität der Inhaltsstoffe von Ecstasy-Pillen ist oder war zumindest außerdem zurückzuführen auf die Forcierung der Kontrollen der Ecstasygrundstoffe im Zuge der Verschärfung der Grundstoffüberwachungsgesetze. Zumindest für einen gewissen Zeitraum bewirkte dies eine Verknappung der Ausgangsstoffe zur Ecstasy- bzw. MDMA-Produktion, weshalb die Ecstasy-Produzenten auf (Mischungen) verschiedene(r) andere(r) Wirkstoffe oder gar unwirksame Substanzen (Placebos) auswichen .

Alles in allem wiederholte sich im Falle von Ecstasy damit schließlich, was sich auch schon im Zusammenhang mit den Prohibitionen von z.B. Heroin, Kokain oder Cannabis ereignete: »Man verlor die Kontrolle über die Hersteller und Vertreiber der jeweiligen Substanzen, hatte keine Sicherheit mehr bezüglich der Qualität der Drogen, und die Preise stiegen ins unermeßliche. Der Versuch des Staates, mit repressiven Mitteln Kontrolle sowohl über die Drogennachfrage als auch über das Angebot zu gewinnen, führte gerade dazu, daß ihm zunehmend die Kontrolle über die Substanzen, über Gesundheitsschutz, Aufklärung und den Markt auf breiter Linie entglitt - daß man alle substanzorientierten Kontrollen aufgab .« Die Konsumenten illegalisierter psychoaktiver Substanzen sind weder durch das Arzneimittelgesetz (AMG), noch durch das Lebensmittel- und Bedarfsgegenstände-Gesetz geschützt. Vielmehr sind sie der Willkür und den Machenschaften der im Untergrund wirkenden Drogenproduzenten und Schwarzmarkthändlern ausgeliefert . Der Verlust der Qualitätskontrolle beinhaltet für die Konsumenten illegalisierter Drogen eine Reihe von (gesundheitlichen) Gefahren, die man mit Hilfe von »Drug-Checking« effektiv vermindern könnte. Eine solche Gefahren- bzw. Risikominimierung wäre im Falle von Ecstasy auch deshalb besonders wichtig, weil die Ecstasy-Prohibition nachweislich ohne bremsenden Einfluß auf dessen Nachfrage war. Im Gegenteil, der Konsum von Ecstasy hat seit seiner Illegalisierung im Jahre 1986 noch einige Jahre rapide zugenommen (man könnte hier vom Werbe-Effekt des Verbots sprechen), um dann seit ca. 1995 auf einem recht hohen Niveau in etwa konstant zu bleiben .

Im nächsten Abschnitt möchte ich nun am Beispiel von Ecstasy, Heroin und Kokain genauer auf die prohibitionsbedingten gesundheitlichen Risiken des illegalisierten Drogenkonsums eingehen.

 

 

2. 2   Zur unnötigen gesundheitlichen Gefährdung der Konsumenten
       illegalisierter Drogen infolge fehlender Qualitäts- bzw.
       Quantitätskontrollen

Wie sehen die gesundheitlichen Risiken im einzelnen nun genau aus, die von den Konsumenten illegalisierter Drogen prohibitionsbedingt in Kauf genommen werden müssen?

 

2. 2. 1  Beispiel Ecstasy

Ich möchte das hier zunächst am Beispiel von Ecstasy verdeutlichen: Als Folge der Illegalisierung besteht eines der Hauptrisiken beim Ecstasy-Konsum heute darin, daß niemand, dem eine Ecstasy-Tablette angeboten wird, weiß, was diese enthält und wie hoch die psychoaktiven Stoffe dosiert sind. Die Dosierung bzw. Konzentration des Wirkstoffes (MDMA) entspricht oft nicht den Angaben des Lieferanten. Es besteht weder die Gewähr, daß der angebotene Stoff chemisch rein ist (daß also bei der Synthese keine toxischen Nebenprodukte entstanden sind), noch können sich die Konsumenten sicher sein, ob in der angebotenen Ware überhaupt die gewünschte Substanz enthalten ist .

»Unter dem Namen »Ecstasy« werden heute alle möglichen Substanzen unterschiedlichster Qualität, Quantität und Wirkung auf dem Schwarzmarkt angeboten. Dementsprechend breit gestreut sind die Schwankungen der Positiv- und Negativerfahrungen beim Ecstasy-Gebrauch


Alles was man also eigentlich weiß ist lediglich, daß der Inhalt der Ecstasy-Pillen sehr unterschiedlich sein kann und daß Ecstasy deshalb als Begriff nicht mehr ausschließlich für den ursprünglichen Originalstoff »MDMA« verwendet werden kann. Da die Konsumenten von vermeintlichen Ecstasy-Pillen keinerlei Garantie für den Inhalt ihrer bevorzugten Droge haben, müssen sie sich einem erhöhten gesundheitlichen Risiko aussetzen, was fatale Folgen haben kann:

So vermutet z.B. der Pharmakologe Dr. Erik Fromberg, daß das akute Auftreten von Lebervergiftungen im Anschluß an den Konsum von Ecstasy auf Verfälschungen oder toxische Nebenprodukte zurückzuführen sei .

Auch die Tatsache, daß Drogengebraucher in der Hoffnung Ecstasy zu konsumieren, an ein starkes Halluzinogen mit sehr langer Wirkdauer (bis zu 30 Std.) wie DOB geraten können, verdeutlicht die Gefahren des verunreinigten Ecstasyschwarzmarktes: Der unbeabsichtigte Konsum eines solch starken Halluzinogens kann für den in Sachen »psychedelischer Reisen« noch Unerfahrenen zu einem sehr belastenden und angstvollen Erlebnis werden, während diese Gefahr beim Konsum von Ecstasy weitaus geringer ist. Es ist dies vielleicht vergleichbar damit, einen Fahrschüler zum Erlernen des Autofahrens in einem Formel 1 Rennen mitfahren zu lassen, anstatt ihn an diese »Kunst« mit Hilfe eines etwas PS-schwächeren Autos in einer ruhigeren Verkehrssituation heranzuführen.

Atropin - um ein weiteres Beispiel für die »Verschmutzung« des Ecstasy-Marktes zu nennen - wurde inzwischen ebenfalls in vermeintlichen Ecstasy-Pillen festgstellt . Es handelt sich hierbei um ein Alkaloid, das u.a. in Blüten und Wurzeln der Tollkirsche in natürlicher Form vorkommt und bereits in sehr geringer Menge zu erheblichen Halluzinationen und Verwirrungszuständen führen kann, also Effekte hervorruft, die beim Konsum von Ecstasy nicht unbedingt intendiert sind. Zudem bewirkt Atropin den Wegfall der parasympathisch-bremsenden Einflüsse auf das Herz, was zu einem sehr schnellen Herzschlag führt. Für Menschen, bei denen eine Koronarsklerose vorliegt oder die bereits einen Herzinfarkt überstanden haben, kann das sehr gefährlich sein. Schließlich kann Atropin in sehr hoher Dosis da Atemzentrum lähmen, d.h. es droht dann Lebensgefahr .

Schließlich stellt die Verschmutzung der Ecstasy-Pillen auch mit solchen Stoffen wie Paracetamol, Acetylsalicylsäure, Coffein oder auch Chinin zumindest für solche Personen ein gesundheitliches Risiko dar, die entsprechende Überempfindlichkeiten und/oder Vorschädigungen (z.B. Magen, Leber, Niere) aufweisen. In England bspw. sind Paracetamolvergiftungen ein bekanntes Phänomen .


Unnötige gesundheitliche Risiken ergeben sich für Ecstasy-Konsumenten auch aus der Tatsache, daß sie nicht wissen welche Menge an Wirkstoff die jeweilige Pille enthält. Diese Bedingungen können vor allem zu der gefährlichen Situation einer ungewollten Überdosierung führen. Wie schnell so etwas passieren kann, soll folgende - zwar erfundene, dennoch aber sehr realistische - Darstellung einer solch möglichen Situation verdeutlichen:

»Gehen wir davon aus, daß 110 mg MDMA eine normale Dosis für einen erwachsenen Menschen ist, der also bei dieser Menge einen Rausch verspürt, und daß dieser Mensch auf einer Party 3 Pillen à 30 mg MDMA kauft. Die Dosierungsanleitung, die in der Szene von Mund zu Mund weitergegeben wird, ist: 1 Pille gleich 1 Trip. Also nimmt dieser Mensch eine der Pillen, denn er weiß ja nicht, daß sie so niedrig dosiert ist, und hofft auf eine bestimmte Wirkung. Nach einer Stunde nimmt er die zweite Pille, da er von der ersten noch nichts verspürt. Nach einer weiteren Stunde die dritte. Erst jetzt hat er etwa 90 mg MDMA in sich und verspürt einen leichten Rauschzustand. Ein Wochenende später kauft dieser Mensch wieder 3 Pillen mit dem gleichen Aufdruck. Ich sagte ja, daß gleich aussehende Pillen durchaus unterschiedliche Zusammensetzungen haben können. So gibt es z.B. von den Tauben über 30 Variationen mit unterschiedlichen Inhaltsstoffen und Dosierungen. Diesmal bekommt er scheinbar gleiche Pillen mit 100 mg MDMA pro Stück. Vielleicht nimmt er alle drei auf einmal, denn seine Erfahrung vom letzten Wochenende zeigte ihm ja, daß ein oder zwei Pillen zu keinem Rausch führten. Er hat jetzt also 300 mg MDMA im Körper, fast das Dreifache der Normaldosis und nahe an der toxischen Grenze. Wir wissen nicht, wie es ihm damit gehen wird, klar ist nur, daß er ein großes Risiko eingegangen ist


So gesehen, ist dem Ecstasy-Experten Artur Schroers wohl beizupflichten wenn er sagt, daß beim Ecstasy-Konsum die größte Gefahr aus der Verunreinigung des Ecstasymarktes infolge der Illegalisierung von MDMA (die originäre Ecstasysubstanz) resultiert . Was in diesem Zusammenhang für Ecstasy gilt, besitzt nicht weniger Gültigkeit auch für die anderen illegalisierten Drogen, wie z.B. Heroin:

 

 

2. 2. 2  Beispiel Heroin

Henning Schmidt-Semisch folgend, weiß der Heroinkonsument unter den Bedingungen der Prohibitionspolitik nicht, »... wieviel Heroin der Stoff, den er als Heroin kauft, tatsächlich enthält, ob es sich um 5-, 10-, 20- oder gar 50-prozentiges Heroin handelt. Er weiß auch nicht, mit was der Stoff gestreckt ist, ob günstigerweise Traubenzucker das Streckmittel ist oder vielleicht doch eher Waschpulver, Strichnin oder schlicht Rattengift. Es sind die Konsumbedingungen der illegalen Drogen, die wirklich giftig sind und die dazu führen, daß das Bild vom gefährlichen Rauschgift (scheinbar) immer wieder bestätigt wird


Das Schwarzmarktheroin wird demnach mit teils sehr gefährlichen und gesundheitsschädlichen Substanzen (z.B. Strichnin) gestreckt und ist für die KonsumentInnen in seinem Reinheitsgehalt unkalkulierbar. Bei Scheerer/Vogt liest man dazu:

»Straßenheroin unterliegt aufgrund seiner Illegalität keinerlei Qualitätsüberwachung - und variiert für den Konsumenten undurchschaubar, ähnlich wie der illegal hergestellte Alkohol-Fusel in den USA während der Prohibition, in bezug auf Reinheitsgrad, Beimengungen usw. Das Unwissen der Konsumenten über das in einer Verkaufseinheit tatsächlich enthaltene Wirkungspotential ist ein ernstzunehmender Grund für Drogentodesfälle, der bei den Junkiebünden (Selbsthilfegruppen) wiederholt zur Forderung nach einer größeren Transparenz des Marktes und des Stoffes z.B. durch gesundheitsbehördliche Kontrollen und die Publikation der aktuellen Untersuchungsergebnisse geführt hat


Schließlich weist auch Herwig-Lempp darauf hin, daß reines Heroin - im Gegensatz zum Alkohol und zum Nikotin - von sich aus keine irreversiblen Organschädigungen mit sich bringt bzw. keine tiefergehenden körperlichen Nebenfolgen verursacht. Zur (gesundheitlichen) Gefahr wird Heroin aus seiner Sicht erst infolge der Prohibition:

»Erst Illegalisierung und Kriminalisierung bringen »Junkies« hervor, wie wir sie heute auf der Szene sehen. Sie bringen Schwarzmarkt, horrende Preise, die Notwendigkeit diese zu finanzieren und damit die Kriminalität, Prostitution und die Erschwerung sozialer Kontakte mit sich. Und vor allem die Verunreinigung des Stoffes, die Unsicherheit über seine Zusammensetzung, die damit verbundene Gefahr der Überdosierung (und des daraus möglicherweise folgenden ungewollten »goldenen Schusses«), die gesundheitlichen Gefahren


Der tödliche »goldene Schuss« infolge unbeabsichtigter Überdosierung des Heroins wurde hier von Lempp angesprochen und damit auch gleichzeitig die Tatsache, daß die berühmten sogenannten »Drogentoten« weniger zum Opfer der Droge (Heroin) selbst wurden, als vielmehr zum Opfer der Prohibitionsbedingungen - sie so betrachtet also besser als Drogenpolitiktote zu bezeichnen wären. Böllinger, Stöver und Fietzek nehmen hierzu in »Drogenpraxis, Drogenrecht, Drogenpolitik« Stellung:

»Die Zahl der Drogentoten ist eine in der öffentlichen und politischen Drogendebatte häufig verwendete Größe, um die Gefährlichkeit des Heroins zu beweisen und die Notwendigkeit eines repressiven Vorgehens zu rechtfertigen. In den Medien wird jeder Drogentote einzeln gezählt, »publizistisch zelebriert« [...], unter völliger Ausblendung der Lebens- und Sterbebedingungen. [...] Allgemein wird suggeriert, der Drogentod sei eine unausweichliche Folge dauerhaften Heroingebrauchs. Bei näherem Hinsehen jedoch erweist sich der sog. Drogentod eher als Konsequenz der Prohibitionspolitik, denn als unvermeidliches Risiko des Heroingebrauchs selbst



Drei kriminalisierungsbedingte Erklärungen für den Drogentod im Zusammenhang mit Heroin lassen sich aus der Sicht von Böllinger, Stöver, Fietzek anführen:

Unter Schwarzmarktbedingungen ist der Reinheitsgehalt des erworbenen Heroins kaum kalkulierbar, oft schwankend, und es erfolgen daher häufiger versehentliche Überdosierungen mit Todesfolge.
Ein weiterer Grund für die hohe Mortalität unter Heroingebraucher liegt in einem verbreiteten Mischkonsum mit anderen Drogen (Alk., Medikamenten) zur Überbrückung von Entzugserscheinungen. Die Überbrückung von Entzugserscheinungen mit anderen Drogen wird zur Notwendigkeit, weil Heroin für den Konsumenten prohibitionsbedingt teilweise nicht in ausreichender Menge zu finanzieren oder nicht schnell genug zu beschaffen ist. Kommt es noch unter dem Einfluß dieser Überbrückungsmittel zu einer erneuten Heroininjektion, so verstärken die zusätzlich konsumierten Drogen evtl. die atemdepressive Wirkung des Heroins und sind daher mitverantwortlich für den Tod.
Schließlich wird der Tod bewußt herbeigeführt: aus Verzweiflung in einer als ausweglos empfundenen psychosozialen Lage, die sich nicht zuletzt kriminalisierungsbedingt zugespitzt hat .



Im »Jahrbuch Sucht 2000« finden sich obige Annahmen über die Ursachen des Drogentodes bestätigt. Bezogen auf das Jahr 1998 wird festgestellt: »Häufigste Todesursachen waren wie in den Vorjahren Überdosierungen von Heroin und Mischintoxikationen infolge von polytoxikomanem BtM-Missbrauch

 

 

2. 2. 3  Beispiel Kokain

Schließlich soll hier noch auf ein unnötiges gesundheitliches Risiko eingegangen werden, dem sich Kokainkonsumenten prohibitionsbedingt aussetzen müssen. Eine besondere, auch lebensbedrohliche Gefahr stellt die Verunreinigung des Kokains mit Lidocain oder Tetracain dar, wie eine Studie dreier rechtsmedizinischer Institute in Berlin zur toxokologischen Bewertung dieser Lokalanästhetika bei Drogentodesfällen feststellt . Als in Apotheken frei verkäufliche und im Vergleich zu Kokain sehr billige Stoffe, werden Lidocain oder Tetracain dem Kokain häufig zugesetzt, um beim Verkauf die Gewinnspanne zu erhöhen . Der Lidocain- bzw. Tetracainverschnitt ist bei Dealern deshalb so beliebt, weil die lokalanästhetische Wirkung dieser Stoffe bspw. beim »Zungentest« das Vorliegen von Kokain vortäuscht. Besonders problematisch ist der Lidocain- bzw. Tetracainverschnitt dann, wenn Kokain nicht geschnupft, sondern intravenös injiziert wird. In Berlin wurden mehrere Todes-fälle registriert, bei denen sehr hohe Blutkonzentrationen von Lidocain oder Tetracain-Metaboliten ursächlich, bzw. maßgeblich als Todesursache festgestellt wurden (durch Lähmung des Zentralnervensystems oder Blockade des Herz-Reizleitungssystems). Seit 1995 waren insgesamt 46 Todesfälle im Zusammenhang mit Lidocain und 13 weitere Fälle durch Tetracain zu beklagen . Resümierend stellen die Autoren der oben erwähnten Studie fest: »Die von uns vorgestellten Beispiele stehen im Gegensatz zu der weit verbreiteten Meinung, daß die phamakodynamischen Wirkungen von Beimischungen bei Drogenapplikation allgemein von untergeordneter toxikologischer Bedeutung sind

Einer solch bedauerlichen Entwicklung hätte man mit Hilfe von Drug-Checking frühzeitig entgegenwirken können. Das Gefahrenpotential dieser Verschnittstoffe hätte früher erkannt und Kokainkonsumenten hätten hiervon in Kenntnis gesetzt werden können. Zudem hätte schon viel früher die Möglichkeit bestanden, Apotheker entsprechend zu einer weniger leichtfertigen Abgabe dieser Stoffe zu ermuntern. Sich auf dem Schwarzmarkt befindliches, mit Lidocain bzw. Tetracain gestrecktes Kokain könnte mit Hilfe von Drug-Checking zudem regelmäßig frühzeitig »entlarvt« und potentielle Konsumenten davor gewarnt werden. Indirekt würden Kokaindealer langfristig dazu gezwungen, »sauberes« Kokain anzubieten, da es für die Konsumenten mit Hilfe von Drug-Checking nachvollziehbar wäre, von welcher Qualität der erworbene Stoff jeweils ist.

 


Fußnoten:
  1. J. Neumeyer, H. Schmidt-Semisch (Hrsg.): Ecstasy - Design für die Seele? Freiburg i.Br. 1997, 119-128 .
  2. Vgl. Frank Nolte, Stephan Quensel, Anja Schultze (Hrsg.): Wider besseres Wissen. Bremen 1996, 22 .
  3. Vgl. J. Neumeyer, H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), a.a.O., 250 .
  4. J. Kunkel, J. Neumann: Tausend Mark ...Geldstrafe für eine Pille. Wollen Politik und Justiz nun auch die Technoszene mit Kriminalisierung und Verfolgung überziehen, also einen Weg beschreiten, der sich schon im Umgang mit Heroin als wenig hilfreich erwiesen hat?, In: Aktuell. Magazin der Deutschen AIDS-Hilfe, Nr.13, Berlin 1995, 20 .
  5. Bernhard van Treeck: Partydrogen. Berlin 1997, 50 .
  6. Vgl. B. v. Treeck, a.a.O., 50f .
  7. Vgl. F. Nolte, S. Quensel, A. Schultze, a.a.O., 22 .
  8. Vgl. Bettina Paul, Henning Schmidt-Semisch (Hrsg.): Drogendealer. Freiburg im Breisgau 1998, 217 .
  9. J. Neumeyer, H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), a.a.O., 272 .
  10. Vgl. J. Neumeyer, H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), a.a.O., 273 .
  11. Vgl. Rainer Thomasius (Hrsg.): Ecstasy. Stuttgart 1999, 21 .
  12. Vgl. Hans Cousto: Vom Urkult zur Kultur. Solothurn 1995, 159 .
  13. Hans Cousto: Drug-Checking. Solothurn 1999, 39 .
  14. J. Neumeyer, H. Schmidt-Semisch (Hrsg.): a.a.O., 163 .
  15. Nach Angaben des Bundeskriminalamtes wurden im Jahr 1995 neben dem Ecstasyoriginalstoff »MDMA« hauptsächlich noch folgende andere Inhaltsstoffe in den auf dem Schwarzmarkt als »Ecstasy« verkauften Pillen festgestellt: MDE, Amphetamin, MBDB, MDA, 2-CB, DOB, Coffein, Ephedrin, Chinin, Wirkstoffe verschiedener Schmerzmittel [z.B. Paracetamol]. (Vgl. Karl-Artur Kovar, Inge Muszynski, Jens Burmester (Hrsg.): Ecstasy Today and in the Future. Sucht - Zeitschrift für Wissenschaft und Praxis. Sonderband 1997, 14f.) .
  16. Vgl. R. Thomasius (Hrsg.), a.a.O., 161 .
  17. Vgl. Schroers, In: Heino Stöver (Hrsg.): Akzeptierende Drogenarbeit. Freiburg im Breisgau 1999, 123 .
  18. Vgl. Wolfgang Schmidbauer, Jürgen vom Scheidt: Handbuch der Rauschdrogen. Frankfurt am Main 1998, 271-273 .
  19. Vgl. Nicholas Saunders: Ecstasy. Zürich 1996, 241f .
  20. Peter Märtens: Angebote und Erfahrungen des Jugend- und Drogenberatungszentrums Hannover auf Raves, In: M. Rabes, W. Harm (Hg.): XTC und XXL. Reinbek bei Hamburg 1997, 193 .
  21. Vgl. Indro e.V. (Hrsg.): Artur Schroers: Ecstasy. Münster 1996, 54 .
  22. Henning Schmidt-Semisch: Drogen als Genußmittel. München 1993, 129 .
  23. Sebastian Scheerer, Irmgard Vogt (Hrsg.): Drogen und Drogenpolitik. Frankfurt/Main ; New York 1989, 293 .
  24. Johannes Herwig-Lempp: Von der Sucht zur Selbstbestimmung. Dortmund 1994, 132 .
  25. L. Böllinger, H. Stöver, L. Fietzek, a.a.O., 43f .
  26. Vgl. L. Böllinger, H. Stöver, L. Fietzek, a.a.O., 44 .
  27. DHS (Hrsg.): Jahrbuch Sucht 2000. Geesthacht 1999, 88 .
  28. Vgl. S. Herre, F. Pragst, B. Rießelmann, S. Roscher, J. Tencer, E. Klug: Zur toxikologischen Bewertung der Lokalanästhetika Lidocain und Tetracain bei Drogentodesfällen, in: Rechtsmedizin Nr.9/1999, 174-183 .
  29. Vgl. B. Rießelmann: Lidocain und Drogentodesfälle, in: Rundschreib. Apothekenkammer Berlin Nr.1/1999, 11 .
  30. Vgl. S. Herre, F. Pragst, B. Rießelmann, S. Roscher, J. Tencer, E. Klug, a.a.O., 174 .
  31. S. Herre, F. Pragst, B. Rießelmann, S. Roscher, J. Tencer, E. Klug, a.a.O., 182 .

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