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Drug-Checking -
sinnvolles Instrumentarium der Drogenhilfe?

Dipl.-Arbeit für die Prüfung zum Erwerb des Akademischen Grades Dipl.-Sozialarbeiter/- Sozialpädagoge
eingereicht von Axel Mähler


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2. 3   Zur prohibitionsbedingten Behinderung des reflektierten,
       regelorientierten und kontrollierten Umgangs mit
       illegalisierten Drogen

Auf dieses prohibitionsbedingte Problem weist u.a. Hans Cousto hin: Demnach haben Drogengebraucher nicht die Möglichkeit, eigene Verhaltensmuster und Erlebnisse, die in Beziehung zu ihrem Drogenkonsum stehen, mit bestimmten Wirksubstanzen geschweige denn ihrer Dosierung in Verbindung zu bringen. Erst so aber werde ein differenziertes Reflektieren über die eigene Risikosituation im Zusammenhang mit Drogenkonsum und Lebensgestaltung möglich. Die individuelle Risikokompetenz und Drogenmündigkeit werde so untergraben . Das Fehlen der Möglichkeit den eigenen Drogenkonsum angemessen reflektieren zu können, kann gefährliche Konsummuster begünstigen:

»Wer [...] Drogen unter ungünstigen Bedingungen konsumiert, dem geht der Genuß ab und es stellt sich keine Befriedigung ein. Eine Folge, die sich aus einer solchen Situation ergibt, ist der Wunsch nach mehr Drogen, da man zu leicht geneigt ist, das Unwohlsein vornehmlich auf eine schlechte oder ungenügende Drogenwirkung zurückzuführen und nicht auf die eigene Konstitution oder das Set und Setting. [Man kann dies als Überidentifikation mit der Droge bezeichnen, d. Verf.] Der bequemste Weg scheint in einem solchen Fall oft der Konsum weiterer Drogen zu sein. Um »Besserung« herbeizuführen, wird dann oft völlig unüberlegter und übemäßiger Drogenmischkonsum betrieben, der die Situation jedoch nur verschlimmert und nicht verbessert


Auch Schroers sieht die Gefahr der Überidentifikation: So würde das fehlende Wissen zu Qualität und Dosis z.B. von Ecstasy-Pillen automatisch in Mutmaßungen zum Wirkgehalt neu auftretender Pillen resultieren. Jegliches Empfinden, Handeln, Kommunikationsverhalten etc. werde dann der Droge zugeschrieben - die Droge könne folglich schnell zum zentralen Aspekt des Lebens werden . Auf welch sinnvolle Weise Drug-Checking einer solchen Gefahr der Überidentifikation vorbeugen kann, zeigen die Erfahrungen, die der Verein Eve & Rave im Rahmen seines von 1995-1996 durchgeführten Drug-Checking-Programms gesammelt hat:

»Die von vielen 'Dauergebrauchern' getroffene Aussage: 'Die Pillen werden immer schlechter, darum müssen wir immer mehr einschmeißen' konnte z.B. auf diese Weise [mit Hilfe von Drug-Checking, d.Verf.] eindeutig widerlegt und diesen Usern bewußt gemacht werden, daß bei ihrem Ecstasy-Konsum ein Wirkungsabfall aufgrund von Toleranzbildung entstand. Längere Konsumpausen wurden in solchen Fällen empfohlen und oft auch eingehalten. Auf diese Weise konnte den - einem reflektierten Konsum entgegenstehenden - Legenden um die Ecstasy-Tabletten unterschiedlicher Prägung entgegengetreten, der Konsum insgesamt entmystifiziert und so auf einer rationaleren Ebene praktiziert werden


Drug-Checking trägt demnach dazu bei, daß die positiven Wirkungen der Droge einerseits nicht idealisiert, andererseits negative Wirkungen ebenfalls nicht allein der Droge, sondern z.B. auch dem längst überstrapazierten Körper zugeschrieben werden (können). Die genaue Kenntnis von Wirkstoff und Dosis befähigt also die Drogenkonsumenten, insbesondere die Bedeutung des »set« (physiologische und psychologische Faktoren des Konsumenten) hinsichtlich der Qualität des Drogenerlebnisses miteinbeziehen und besser einschätzen zu können. Auf diese Weise kann der Entwicklung riskanter Konsummuster vorgebeugt werden. Drug-Checking besitzt demnach u.a. auch eine suchtpräventive Wirkung. Die Unsicherheit über Qualität und Dosis beim Konsum illegalisierter Substanzen behindert schließlich die eigenverantwortliche, erfahrungsgeleitete Entwicklung von risikominimierenden, genußorientierten, gesundheitsschonenden und schließlich suchtpräventiv wirksamen (Safer-Use-)Regeln. Der (sub-)kulturelle Kontrollprozeß durch Regeln, Normen und Werte wird prohibitionsbedingt gebremst, da die Konsumenten illegalisierter Drogen nicht die Möglichkeit besitzen, drogeninduzierte Erlebnisse mit einem bestimmten Wirkstoff, geschweige denn seiner Dosierung in Verbindung zu bringen. Fragen hinsichtlich eines adäquaten Konsums illegalisierter Drogen, wie z.B. »Wann ist der Konsum welcher Droge, in welcher Dosis, in welcher Situation und in welchem Umfeld nützlich, befriedigend und sicher; wann sollte er besser vermieden oder ganz aufgegeben werden?« müssen deshalb unbeantwortet bleiben, ein angemessenes Risikobewußtsein kann sich nicht entwickeln. Dr. phil. Wolfgang Schneider sieht darin ein Problem:

»In einer Gesellschaft, in der Drogen (legalisierte wie illegalisierte) Wegbegleiter des Erwachsenwerdens sind, kann es nicht um das Präventionsziel der absoluten Drogenfreiheit gehen, sondern nur um die Einübung eines eigenverantwortlichen, genußfähigen, regelorientierten und kontrollierten Umgangs mit psychoaktiven Substanzen. In fast allen Aufklärungsbroschüren der Krankenkassen werden Regeln für einen kontrollierten Umgang mit Alkohol und Medikamenten genannt. Könnte dies nicht auch Modellcharakter für den Umgang mit illegalisierten Drogen haben? [...] Ich plädiere hier für eine sachgerechte, auf Vor- und Nachteil zielende Substanzaufklärung im Sinne der Stützung regel- und genußorientierter Gebrauchsformen. [...] [Substanzaufklärung] [...] konkret hieße: Aufklärung über einzelne Substanzen, über Wirkweise, Konsumformen und Gebrauchsrisiken. Dies hieße weiterhin: die Vermittlung von Empfehlungen für einen moderaten, regelorientierten Gebrauch als Safer-Use-Strategien


Nur wenn die Konsumenten illegalisierter Drogen den jeweiligen Wirkstoff und die Dosis genau kennen, werden sie kompetent, den Konsum angemessen zu reflektieren. Erst auf dieser Basis der Reflexion sind sie jedoch in der Lage, Regeln für den eigenverantwortlichen, gesundheitsorientierten und risikominimierten Konsum zu entwickeln. Unter den gegebenen Schwarzmarktbedingungen ist das nicht möglich. Das Angebot von Drug-Checking könnte diese Situation jedoch verbessern. Der Verein Eve & Rave stellt hierzu fest: Mit Hilfe von Drug-Checking konnten »... viele User erreicht und dazu motiviert werden, sich mit der dosisabhängigen Wirkung bzw. dem Risiko der einzelnen Substanzen auseinanderzusetzen. In vielen Fällen hat sie das kompetent gemacht, ihren Konsum zu reflektieren und ihn gegebenenfalls selbständig zu kontrollieren .« Drug-Checking ermöglicht den Konsumenten die selbstbestimmte Steuerung des Drogengebrauchs, wobei erfahrungsgeleitete, selbstgesetzte Regeln berücksichtigt werden können. Hingegen ist es gegenwärtig immer noch so, daß mit der fehlenden Kenntnis der Drogenqualität und Dosierung, den daraus resultierenden (vor allem auch massenmedial inszenierten) Drogenmythen und schließlich den gezielten Desinformationskampagnen von politischer Seite , insgesamt eine enorme Verunsicherung der Konsumenten herbeigeführt und so ein risikobewußter und somit selbstverantwortlicher Umgang mit illegalisierten Drogen verunmöglicht wird. Man muß sogar annehmen, daß die angesprochenen Desinformationskampagnen dem Risikobewußtsein der Konsumenten illegalisierter Drogen ausgesprochen schaden: Aufgrund ihrer offensichtlichen Unglaubwürdigkeit verleiten sie die Konsumenten zu der bagatellisierenden Gegenannahme, daß in Wirklichkeit wohl kaum ernstzunehmende Gefahren bestehen. Die Bereitschaft tatsächlich vorhandene Risiken wahrzunehmen und zu berücksichtigen schwindet somit.

 

 

2. 4   Zusammenfassung - Drug-Checking -
       Maßnahme zum Gesundheitsschutz und zur Lebensrettung

Die Entwicklung eines Drogenschwarzmarktes stellt eine direkte Folge der Verbots- und Repressionspolitik dar. Dieser Schwarzmarkt bringt es mit sich, daß sich die Konsumenten illegalisierter Drogen nahezu jeglicher Möglichkeit der »Kontrolle« über die jeweilige Substanzqualität und deren Dosis beraubt sehen. Diese fehlende Kontrollmöglichkeit ist angesichts der am Beispiel von Ecstasy, Heroin und Kokain festgestellten »Verschmutzung« des Drogenschwarzmarktes als besonders schlimm zu bewerten. »Verschmutzung« soll heißen, daß Schwarzmarktdrogen einer hohen Variabilität unterliegen, was Qualität und Dosis bzw. Wirkstoffkonzentration angeht. Gesundheitliche Risiken bis hin zu lebensgefährlichen Situationen ergeben sich infolge unerwartet hoher Dosierungen, sowie infolge des ungewollten Konsums toxisch wirkender Streckmittel oder Syntheseverunreinigungen. Auch die nicht unübliche Beimengung anderer eigentlich unerwünschter psychoaktiver Wirkstoffe kann den Drogenkonsum zu einem unangenehmen Erlebnis werden lassen. Ein risikobewußter und eigenverantwortlicher Umgang mit den illegalisierten Drogen wird aufgrund der Unkenntnis über den genauen Inhalt der jeweils erworbenen Substanz nahezu verunmöglicht. Die Entwicklung von potentiell gesundheitsschonenden, risikominimierenden und suchtpräventiv wirksamen (Safer-Use-) Regeln wird prohibitionsbedingt behindert. Kein Wunder schließlich, daß Junkiebünde schon seit langer Zeit eine größere Transparenz des Marktes und des Stoffes - z.B. durch gesundheitsbehördliche Kontrollen und die Publikation der jeweils aktuellen Untersuchungsergebnisse - einfordern. Kein Wunder auch, daß Techno-Selbstorganisationen wie Eve & Rave »Drug-Checking« als ein sinnvolles Konzept zur Minderung der Drogenproblematik ansehen. Drug-Checking als ein Modell der qualitativen und quantitativen Bestimmung bzw. Kontrolle von illegalisierten Substanzen, stellt einen wirksamen Beitrag zur Förderung der Drogenmündigkeit bzw. der individuellen Risikokompetenz dar. Es mindert die Risiken des Drogenkonsums und ist deshalb ein Beitrag zum Gesundheitsschutz. Neben diesem gesundheitsförderlichen Aspekt, besitzt Drug-Checking zudem – wie gesehen - suchtpräventiven Charakter. Auch Artur Schroers, der sich ausführlich mit der Frage des Drug-Checkings auseinandergesetzt hat, erkennt dessen Vorzüge:


»Nach geltendem Recht ist der Konsum von 'Betäubungsmitteln' nicht strafbar. Es wäre demnach widersinnig, Konsumenten gewissermaßen durch die Hintertür für ihren Konsum zu bestrafen, indem ihnen notwendige Maßnahmen zum Gesundheitsschutz - eine solche Maßnahme stellt zweifelsohne Drug-Checking dar - vorenthalten werden. Solange also weder eine staatlich kontrollierte Abgabe von Originalsubstanzen (etwa MDMA) möglich wird, noch eine Entpönalisierung [...] den Konsumenten einheitlich für alle Bundesländer Rechtssicherheit im Umgang mit [..]. illegalisierten Substanzen (zuvorderst Cannabis sowie Amphetamin etc.) gibt, ist Drug-Checking ein gangbarer Weg effektiver Drogenkontrolle «

 


Fußnoten:
  1. Vgl. Hans Cousto: Drug-Checking. Solothurn 1999, 11f .
  2. H. Cousto: Drug-Checking, 22 .
  3. Vgl. Artur Schroers, In: J. Neumeyer, H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), a.a.O., 252 .
  4. J. Neumeyer, H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), a.a.O., 298 .
  5. Wolfgang Schneider: Der gesellschaftliche Drogenkult. Berlin 1996, 120 .
  6. J. Neumeyer, H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), a.a.O., 298 .
  7. Gemeint sind z.B. die von der Bundesregierung einst als vermeintliche Ecstasyopfer deklarierten Todesfälle, die jedoch überwiegend offensichtlich überhaupt nicht und zum kleineren Teil nicht eindeutig als solche angesehen werden konnten. (vgl. hierzu Kapitel 6.) .
  8. Artur Schroers, In: Heino Stöver (Hrsg.): Akzeptierende Drogenarbeit. Freiburg im Breisgau 1999, 142 .

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