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Techno

Eine neue Kultur mit alten Traditionen


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oder
Vom Urkult zur Kultur
Drogen und Techno

von Hans Cousto

 

  1. Erinnerungen

    1. Ohne "Ich" durch die Dimensionen des Universums
      1983, im Sommer, Ketamin, Haschisch

    Mit Freunden auf dem Flachdach eines kleinen niederländischen Einfamilienhauses in Groningen betrachteten wir nicht nur den klaren Sternenhimmel einer warmen Sommernacht, sondern drangen mit Hilfe eines Moleküls in die unendlichen Tiefen des Alls. Ich kann nicht sagen, ob ich in mich gegangen bin oder außer mir war, es war einfach multidimensionales Allround-Kino.

    Traum und Wirklichkeit, Phantasien und Erinnerungen, Gefühlsregungen und die Verstandeskraft, ja alle Ebenen der Wahrnehmung und Empfindung vermischen sich unter dem Einfluß von Ketamin zu einem farbenprächtigen Großen und Ganzen. Es gibt überhaupt keine Grenzen mehr. Man muß nicht reagieren oder aufpassen, wie etwa im Straßenverkehr, sondern man kann sich einfach völlig frei fallen lassen und dahinschweben ohne auf irgend etwas acht geben zu müssen. Nirgends kann man anecken, es gibt keinerlei Hindernisse und man muß auch keine Anstrengungen auf sich nehmen, um vom "Fleck" zu kommen. Begriffe wie nah und fern, klein und groß, schön oder scheußlich verlieren völlig ihre Wertigkeit. Es ist wie es ist, und man fliegt mit seinem Bewußtsein durch die unendlichen Dimensionen der ganzen Schöpfung. Alles passiert von alleine.

    Mein "Ich" wurde zum "Es", zeitweise beobachtete ich die Welt, zeitweise fand ich mich irgendwo in der Welt und zuweilen war ich gar nicht da – und doch kann ich mich sehr genau erinnern, was da war, als ich nicht da war!

    Wem solche Dimensionen vertraut sind, der kann auch nachvollziehen, was ich mit der folgenden Bemerkung meine: Den Alten ward gesagt durch Johann Wolfgang von Goethe: "Wo ein Wille ist, ist ein Weg!" Ich aber sage euch: "Wo kein Wille ist, da ist unverdorbene Natur!"

     

    Anmerkung:

    Für alle Menschen, deren Leitmotiv des Lebens die Selbstbeherrschung oder gar die Beherrschung anderer und die Kontrolle der Gefühle ist, birgt Ketamin etwas Unheimliches in sich, denn während der Hauptwirkungszeit der Droge kann man die Steuerung des Trips nicht mehr mit dem Willen beeinflussen. Eine stabile Persönlichkeitsstruktur, Urvertrauen und Hingabefähigkeit sind die absolut notwendigen Voraussetzungen, um solche weite Bewußtseinsreisen wirklich genießen zu können.

     

    1. "Mind Your Step" – erotische Hardcore-Tanz-Ekstase
      1985, im Herbst, LSD, Kokain, Haschisch

    "Mind Your Step" stand über dem Eingang einer der größten Schwulendiscos in Amsterdam. Die amsterdamer Gay-Szene pflegte bereits in den achtziger Jahren so zu feiern, wie das heute in der Technoszene üblich ist. Der Sound war anders als heute und statt Chill-Out-Areas gab es Darkrooms mit Slings und sonstigen netten Einrichtungen. Lustvolle Tanzekstase bei schweißtreibender Musik prägte das Bild auf dem Dancefloor und das Setting der Disco erlaubte allerlei Lustbarkeiten nach dem Tanz: Sex, Sex und nochmals Sex. Geile körperliche gruppendynamische Verschmelzung paarte sich mit der Offenbarung: Geilheit ist die Knospe der Liebe.

    Ich tanzte völlig in Trance, jeder Ton durchwanderte meinen Körper. Alles war in Bewegung. Ich bewegte mich, alle anderen Tänzer bewegten sich, die Lichter bewegten sich, ja selbst der Dancefloor schwang und vibrierte mit im Rhythmus. Auf einmal brachte mich ein Blick von zwei großen Augen zu einem absoluten und sehr kurzen Stillstand, der jedoch unendlich lang war, da in dieser kurzen Zeit jedes Zeitgefühl verschwunden war. Es funkte zwischen seinem und meinem Blick. Ja manchmal genügt ein einziger Blickwechsel, um sich zu erkennen, und dann kennt man sich schon besser, als andere, die schon jahrelang miteinander leben. Dazu muß man jedoch nicht nur selbst schauen und sehen, sondern vor allem andere in sich hineinblicken lassen.

    Die Starre des Stillstandes war sogleich verschwunden, es war ein Gefühl, als wenn es einem zugleich kalt den Rücken herunterliefe und gleichzeitig eine wohltuende wärmende Wellenbewegung im Rückenmark emporsteige. Wie von einem gigantischen Magneten fühlten wir uns angezogen. Wortlos fielen wir uns in die Arme und küßten uns so, daß wir völlig miteinander verschmolzen. Vom Dancefloor bahnten wir uns den Weg in einen der vielen Nebenräume und ab ging die Post. Das LSD öffnete die Sinne und förderte den Genuß, das Kokain gab uns die nötige Power, es so heftig zu treiben, daß die Phantasie gegenüber der Realität keinen Vorsprung mehr hatte. Keine Gedanken und Bilder lenkten uns ab, ja wir waren jenseits aller Vorstellungen, so daß jeder Impuls völlig spontan war und nie die Nachstellung einer Vorstellung.

     

    Anmerkung:

    Kokain ist eine hochwirksame Droge! Kokain ist das veredelte Konzentrat des in den Blättern der Kokapflanze enthaltenen Hauptwirkstoffes, deshalb ist Kokain möglichst nur selten und in geringen Dosen zu gebrauchen. In geringen Dosen hat Kokain eine erheiternde und stimulierende Wirkung, in höheren Dosen dagegen eine lähmende Wirkung, ähnlich wie Schnaps (Branntwein), einem veredelten Konzentrat aus vergorenen Fruchtsäften, der in kleinen Dosen sehr anregend sein kann; wird er jedoch häufiger und in größeren Dosen konsumiert, so führt dies oft, wie auch beim kontinuierlichen Kokainkonsum, zu schwerer körperlicher und geistiger Zerrüttung.

     

    1. Schnellkurs in Selbsterkenntnis
      Sommer 1986, 5-MeO-DMT (5-Methoxy-N,N-dimethyltriptamin), Haschisch

    An einem lauen Sommerabend saßen wir zu dritt an einer kleinen Quelle auf einer Wiese, die nicht grasgrün war, sondern durch den Reichtum unendlich vieler Blumen eher einem bunten Teppich glich. Während meine Freunde Pierre und Werner die Aussicht in das paradiesisch schöne Schwarzwaldtal genossen, schnitzte ich aus einem Apfel ein Rauchgerät. Von der Seite aus schnitt ich ein vierkantiges und sich nach innen verjüngendes Loch zum Kerngehäuse des Apfels und setzte darin einen "Stein" (wie man ihn in jedem Chillum vorfindet) aus Apfelfleisch ein. Ebenso schnitt ich den Stiel heraus und bohrte ein Loch zum Kerngehäuse. Auf den Apfelstein legte ich zuerst eine Schicht Tabak, darauf kam eine Schicht Zigarettenasche und darauf dann gut 20 mg 5-MeO-DMT.

    Beim Rauchen wird das 5-MeO-DMT mittels einer Flamme aus einem Feuerzeug zum Schmelzen, jedoch nicht zum Brennen gebracht. Man muß also darauf achten, daß die Flamme nahe genug, jedoch nicht zu nahe am begehrten Stoff gebracht wird. Die volle Wirkung erzielt man übrigens nur, wenn man einen ganz tiefen Zug nimmt und diesen dann möglichst lange in der Lunge hält. So sollte man vor dem Zug am Apfel möglichst alle Luft ausatmen und dann den Rauch des Stoffes ganz tief inhalieren. Mehrere kleinere Züge entfalten bei weitem nicht die gleiche Wirkung.

    Nach dem Inhalieren verspürte ich für einige Sekunden einen intensiven Brechreiz, den ich jedoch beflissentlich unterdrückte. Der Brechreiz löste sich nach kurzer Zeit in ein Nichts auf, ich fühlte mich wie in Watte gehüllt, atmete den Rauch aus und legte mich körperlich völlig entspannt nieder. Eine Folge von Visionen, von unglaublicher Prägnanz gekennzeichnet, durchfluteten mich. Die Visionen entführten mich aus dem Gefüge von Raum und Zeit in die unendlichen Dimensionen jenseits von Leere und Fülle.

    Selbst in der absoluten Leere verspürte ich die Fülle der Lebenskraft, die meinem Bewußtsein stets innewohnt. So wie ich mich als leuchtendes, bewußtes Wesen wahrnehmen konnte, so nahm ich auch meine beiden Freunde als solche Lichtwesen wahr. Gleichzeitig waren wir einerseits jeder für sich ein völlig unabhängige Wesen und anderseits so innig miteinander verbunden, daß wir uns als ein einziges Energiegeflecht aus dem gleichen Ursprung empfinden konnten. Dieser eine Ursprung, Quell des Lebens, widerspiegelte sich im Kern des Wesens von jedem von uns und entfaltete eine wunderbare Schönheit wie die idealisierte Ästhetik der Lotusblüte zur Entfaltung der Meditation.

    Ohne Angst und Schrecken sah ich die Fülle "guter" und "böser" Taten in meinem Leben, ihre Auswirkung auf mein Leben, mein Befinden und mein Bewußtsein. Ebenso sah ich die Wege zur Tilgung der Auswirkungen der "bösen" Taten, die immer in der Liebe, in der Nächstenliebe und in der Barmherzigkeit wurzelten. Auch konnte ich die Wege des Glücks erkennen, wie es zu mir fand, als Folge "guter" Taten und vor allem als Folge des von Liebe erfüllten eigenen Seins. Das kosmische Rad des Gesetzes offenbarte sich meinem Bewußtsein in absolut unmißverständlich klarer Form und ich sah mich selbst gleichzeitig einerseits als Opfer dieses Rades des Gesetzes, gänzlich ausgeliefert, und anderseits als Schöpfer dieses Rades des Gesetzes, dessen Auswirkungen durch meine Art zu sein, durch mein Bewußtsein und durch meine Liebe praktisch vollumfänglich programmierbar schien.

    Nach dem tiefen Eintauchen in den Ursprung des Seins und des Gewahrwerdens der kosmischen Gesetzmäßigkeit, das etwa zehn oder zwanzig Minuten währte, lag ich noch von dem Geschauten völlig überwältigt, jedoch sehr entspannt und geistig verklärt auf dem Gras und konnte die Bilder der Visionen einordnen und innerlich verarbeiten. Eine kurze musikalische Sequenz, die stets wiederholt uns auf der ganzen Reise wie ein Mantra begleitete, offenbarte sich in dieser letzten Phase als Brücke zwischen den Dimensionen der durchwanderten Welten und beflügelte die Erinnerung an das Erlebte wie auch die Fähigkeit, das Erlebte bewußt in das permanente Gedächtnis einzuordnen.

     

    Anmerkung:

    5-Methoxy-N,N-dimethyltriptamin = 5-Methoxy-3-[2-(dimethyl-amino)ethyl]-indol, auch O-Methyl-bufotenin (OMB) und N,N,O-Trimethylserotonin (N,N,O-TMS) genannt, ist eines der potentesten Indol-Alkaloide. Die Intensität der halluzinogenen Wirkung ist deutlich stärker als die von DMT und kann mit dem Wirkungsgrad hoher Psilocybin- oder LSD-Dosierungen verglichen werden, wobei unter dem Einfluß von 5-MeO-DMT die Gebraucher (Nutznießer) weit häufiger als unter dem Einfluß von Psilocybin oder LSD eine vollständige Auflösung der eigenen Identität erleben.

    Wer mit sich selbst im Reinen ist und offen für absolut transzendentale Erlebnissphären, der wird die vollständige Auflösung der eigenen Identität als beglückende ozeanische Selbstentgrenzung erleben und die Erfahrung des All-Ein-Seins (Eins sein mit dem All) als erhabene Verschmelzung mit dem Kosmos genießen können. Wer hingegen ein schlechtes Gewissen und Schuldgefühle hat, wer sich selbst aus opportunistischen Gründen untreu geworden ist und wer rigide, ängstlich, feige oder auch verschlossen ist, der wird die vollständige Auflösung der eigenen Identität mit hoher Wahrscheinlichkeit als angstvolle Ichauflösung durchleben müssen. Der damit verbundene Kontrollverlust über das eigene Ego kann für manche Menschen so unerträglich und erschreckend sein, daß sie des Glaubens sind, endgültig wahnsinnig zu werden oder gar sterben zu müssen. Manchmal haben diese 5-MeO-DMT induzierten Erlebnisse eine so nachhaltige Wirkung, daß auch nach dem Abklingen der eigentlichen pharmakologischen Wirkung die Selbst- und Realitätserkennung so stark gestört bleibt, daß eine Betreuung in einer psychiatrischen Klinik zur unumgänglichen Notwendigkeit wird.

    Da unter dem Einfluß von 5-MeO-DMT oft eine Trennung von Körper und Geist erlebt wird, scheint diese Substanz für rituelle Meditationen gut geeignet zu sein, jedoch nicht als Partydroge.

     

    1. Acid House-Party im Berliner Underground
      Herbst 1988, Ecstasy (MDMA), Gras, Haschisch

    Das UFO war wohl der erste Techno-Klub in Berlin. Es handelte sich dabei um einen Keller, der unter einem alternativen Café im Kreuzberger Kiez lag und früher als Lagerraum diente. Den "Klub" erreichte man über eine steile Leiter, drinnen war eine schwülwarme Atmosphäre und von den Stahlträgern der Decke regnete das Kondenswasser herunter. Zumeist konnte man kaum jemanden auf der Tanzfläche erkennen, da die Nebelmaschinen den ganzen Raum mit einer dichten Wolke füllten, so daß man nur die wenigen, hin und wieder leuchtenden farbigen Lichter der "Lightshow" oder die Stroboskopblitze als Orientierungshilfe nutzen konnte.

    Im UFO, das gerade mal einhundert Gästen Platz bot, tanzten wir dicht gedrängt zu den damals neuartigen Acid House Klängen, die der junge DJ Kid Paul für uns an den Plattentellern zusammenmixte. So wie ich waren wohl die meisten BesucherInnen von einem durch Ecstasy induzierten wohligen empatischen Gefühl beflügelt und wir tanzten stundenlang ohne Unterlaß. Obwohl dicht gedrängt und durch den Nebel bedingt einander mit den Augen kaum erkennend, konnten wir ekstatisch tanzend einander so wahrnehmen, daß es fast nie zu Kollisionen kam oder jemand einen in irgend einer Form bedrängte, da wir uns als lebendige Energiefelder spürten und uns als Teil einer großen rhythmisch tanzenden Energie empfanden.

    Genaugenommen tanzte ich nicht, sondern ich wurde getanzt. Das heißt, ich überließ der mich durchfließenden Musik die Steuerung der körperlichen Motorik, und da die um mich herum tanzenden Wesen sich ebenso der Musik hingaben wie ich, tanzten wir gemeinsam völlig frei und losgelöst so im Einklang mit dem pulsierenden, alles durchdringenden Baß, daß wir alle miteinander wie ein einziger, von purer Lust und reinem Glück erfüllten Organismus auf der Tanzfläche agierten.

     

    1. Tanzen bis zum Umfallen
      Januar 1995, Mischkonsum noch und nöcher
      Ecstasy (MDMA), Speed (Amphetamin), LSD, MDA, Gras, Haschisch

    Mit die meisten Impulse zum Schreiben dieser Erinnerungen bezüglich meiner Erlebnisse unter dem Einfluß der verschiedensten psychoaktiven Substanzen habe ich im Winter 1995 in einem Berliner Techno-Klub, dem Vereinsheim 1893, bekommen. Das Vereinsheim, ein altes, von außen desolat wirkendes vierstöckiges Schulgebäude in der Stadtmitte, in dem vor dem Fall der Mauer die Vorteile der sozialistischen Planwirtschaft gelehrt wurden, war nach der Wiedervereinigung Berlins ein familiärer Treffpunkt der MitgliederInnen des Vereins zur Erhöhung der Lebensfreude durch Tanz, Ekstase und andere Lustbarkeiten. Jedes Wochenende, von Freitag bis Montag durchgehend, war in diesen Gemäuern auf drei Etagen Tanz-Ekstase angesagt.

    Freitag abends begann unser Fest mit einem zeremoniell veranstalteten kleinen Abendmahl. Versteckt hinter den plätschernden Wasserspielen in Chill-Bereich im obersten Stock versammelten wir uns, das heißt ein paar Freunde der nimmersatten Partyfamilie, rauchten ein paar Wasserpfeifen während einer von uns kristallines MDMA in einen großen Kelch mit Kirschsaft streute, das Gemisch rührte und dann andächtig den ersten Schluck nahm und den Kelch weiterreichte. Jeder nahm ein Schluck und reichte den Kelch weiter. Der Kelch machte mehrmals die Runde und der letzte Schluck wurde den Wasserspielen als symbolische Gabe für das Gemeinwohl (das heißt den guten Geistern und den Göttern) geopfert. Dann begann die Party mit würzigen Klängen von Mack Beth, House von der feinsten Art zum eintanzen.

    Die Unterbrechungen in dieser ersten Tanznacht der Party waren immer nur kurz und dienten der Stärkung: Orangensaft mit kristallinem MDMA und eine Nase Speed. Dann ging es gleich wieder auf die Tanzfläche zur Erhöhung der Lebensfreude durch Tanzekstase. In den späteren Morgenstunden gönnten wir uns eine längere Pause in der Cafeteria des Hauses und stärkten uns mit heißem Chai, mit dem wir auch die großen Kapseln mit MDA durch unsere Kehlen spülten. Das MDA sorgte für plastisch bunte Optik und heitere Stimmung. Je länger wir verweilten, um so mehr mußten wir lachen, ja wir blödelten vor uns hin bis wir vor lauter lachen kaum noch Luft bekamen – toxisches Zeichen, daß die Zeit reif für den Dancefloor war. Spacedreamer hieß der nächste Set, DJ Gamma Ray, wahrlich einer der begnadetsten der Stadt, verführte uns in wohl vertraute völlig fremde Welten. Stundenlang tanzen wir ohne Unterlaß, selbstvergessen und doch präsent genossen wir die zeitlose Zeit in einer traumhaften und doch sehr realen Welt.

    Im Volksmund heißt es, um Mitternacht beginne die Geisterstunde. So riefen wir die guten Geister an, als ein jeder von uns eine kleine Pappe (LSD beträufelt) wie ein Stuck Oblate mit der Zunge an den Gaumen preßte und langsam mit Speichel durchtränkte, bevor einer nach dem anderen diesen molekularen Stein der Weisen sich einverleibte. Mit Sounds von Kristalis und NFX begann der Spacetrip – tanzen, tanzen, tanzen – ekstatisches Glücksgefühl wie ein Orgasmus ohne Ende!

    Die Krönung der Feier war der Fade Out Club mit Tanith an den Turntables. Bei über 400 Raumtemperatur – an den Wänden perlte das Kondenswasser herunter – tanzten wir in völliger Trance bis in die Morgenstunden des ersten Werktages der Woche. Zwei fadgrüne Lichtkegel, die aus einem umgebauten Feldstecher erstrahlten, bewegten sich langsam auf Kopfhöhe über dem Dancefloor hin und her. Diese im dichten Nebel fast unheimlich wirkenden Lichtkegel waren der einzige Bezug zur Realität. Sonst war es absolut finster im Raum. Nur schemenhaft konnte man ab und zu die Köpfe der anderen TänzerInnen optisch wahrnehmen. In dieser gespenstischen Atmosphäre rangen wir unseren Körper die letzten Energiereserven beim tanzen ab. Der fast durchgehend monotone Rhythmus schickte uns so weit in Trance, daß die Grenzen zwischen Ich und Du völlig aufgelöst waren. Wir begegneten uns in völlig anderen Sphären und verschmolzen in völlig anderen Dimensionen. Hier zeigte sich deutlich, daß die wahren Zeremonienmeister der Parties die DJ’s sind – sie geben den Ton an, steuern die Rhythmen und stimmen die Schwingungen ein. Je mehr die Tanzenden ihnen vertrauen und je erfahrener sie in den verschiedensten Wahrnehmungsebenen sind, desto weiter können sie die Tanzenden in ekstatische Bewußtseinssphären schicken. Je präziser die Musik auf die Stimmung der Tanzenden eingetunt ist, desto weiter kann die Reise führen. Je weiter die Reise führt, desto ungezwungener und freier kann der Tanz zelebriert und die Ekstase zum Ausdruck gebracht werden. Je größer die Zahl der in voller Ekstase Tanzenden ist, desto leichter können sich die Zeremonienmeister wiederum auf die Stimmung der TänzerInnen eintunen.

     

    Anmerkung:

    Drogenmischkonsum, wie er hier beschrieben ist, sollte nur in Ausnahmefällen und nicht regelmäßig praktiziert werden. Unerfahrene Drogengebraucher sollten auf jeden Fall nicht so viele verschiedene Drogen gleichzeitig oder in zeitlich kurzen Abständen zu sich nehmen. Unerfahrene Drogengebraucher sollten immer erst die Wirkung einzelner Substanzen kennenlernen und erst dann langsam Schritt für Schritt damit beginnen, verschiedene Substanzen gleichzeitig zu konsumieren.

    Viele Menschen vertragen den gleichzeitigen Konsum von Alkohol und Drogencocktails dieser Art überhaupt nicht. Insbesondere wird der gleichzeitige Konsum von Alkohol, MDA und MDMA als unverträglich beschrieben. Die Folgen sind im allgemeinen durch Übelkeit, Brechreiz, heftige Kopfschmerzen und kaltem Schweiß gekennzeichnet, manchmal auch durch eine akute Atemdepression.

    Amphetamin, MDA und MDMA gehören nach ihrer chemischen Struktur zur Gruppe der b-Phenyl-alkylamine. Calcium ist ein Erdalkalimetall, das im menschlichen Organismus vor allem in den Knochen deponiert ist. Der Calciumbestand macht etwa 1,5% des menschlichen Körpergewichtes aus. Phenylalkyaminderivate sind Calciumantagonisten (Calciumkanalblocker), das heißt, Substanzen, die den Einstrom von Calcium in die Zellen (und damit die elektromechanische Koppelung) hemmen. Dies führt zur Verminderung des Tonus der Gefäßmuskulatur und der Kontraktilität (Fähigkeit, sich zusammenzuziehen) des Herzmuskels. Der Konsum von Amphetamin, MDA und MDMA führt zu einer Absenkung des Calciumbestandes im Körper. Auch heftiges Schwitzen infolge andauernden Tanzens mindert den Caciumspiegel im Körper. Darum empfiehlt es sich, während und nach einer ekstatischen Tanzparty mit einem exzessiven Konsum von Amphetamin, MDA oder MDMA immer wieder einmal zwischendurch einen Calciumdrink zu genießen, da Calciummangel nicht nur zu äußerst schwerwiegenden Störungen bei der Funktionsfähigkeit der Erregungsleitung zwischen den Vorhöfen und den Kammern des Herzens führen kann, sondern auch die Knochensubstanz schädigt. Letzteres macht sich beispielsweise oft in der Form von Zahnschmerzen bemerkbar.

     

    1. Hardcore Yoga
      Sommer 2000, Methamphetamin, LSD, Haschisch

    Ursprünglich ist ein Mantra eine magische Formel der Inder, die als wirkungskräftig geltender Spruch durch ständige Wiederholung Erlösung herbeiführt. Der englische Punk-Musiker Ian Dury setzte mit seinem Song "Sex and Drugs and Rock’n’Roll" ein ausgeprägt rhythmisch betontes Mantra in die Welt, wobei er durch die stetige Wiederholung der Worte "Sex and Drugs and Rock’n’Roll" in einer eingängigen Melodie eine magische Wirkung bewirkte, die so manchem neue Dimensionen des Glücks ebnete. Über Jahre hinweg erinnerte ich mich immer wieder an diesen Song und er ging mir oft minutenlang durch den Kopf. Im Wandel der kulturellen Vorlieben prägte sich mir wie aus dem Nichts auf dem Dancefloor eine neues Mantra ein, das im 4/4-Takt simultan zu Techno-Musik über Stunden durch den Kopf kreisen kann: "Techno, Tanzen, Turnen, Ficken"

    Im Sommer 2000 fuhr ich von Berlin ein paar hundert Kilometer durchs Land zu einer Gay Party, deren Leitmotiv genau diesem meinem Mantra "Techno, Tanzen, Turnen, Ficken" entsprach. Da die Party für einen weit längeren Zeitraum als nur eine Nacht ausgelegt war, entschloß ich mich zum Gebrauch von Methamphetamin, das euphorisierend, anregend, libidinös stimulierend und vor allem lange wirkt. Dazu gönnte ich mir gut 400 Mikrogramm LSD. Auf dem Dancefloor vermittelte mir die geballte gruppendynamische Energie, daß hier nicht wenige zu außerordentlich ekstatischen Begegnungen bereit waren. Ein kribbeliges Vibrieren lag in der Luft. Die Gier meiner Blicke spiegelte sich in den Augen der lustvoll tanzenden Männer um mich herum, bis ich von den Blicken zweier Kerle völlig hypnotisiert zu taumeln begann. Die beiden packten mich an den Armen und führten mich durch die tobende Menge der Tanzenden in einen kleinen Nebenraum.

    Aus der Trance erwachend fand ich mich an Händen und Fersen gefesselt, gespannt zwischen Boden und Decke, so daß ich mich nicht mehr rühren konnte und spürte die streichelnde Bewegung von zwei ledernen Klatschen an meinen Beinen und an meinem Rücken. Mit jedem Takt der Musik empfand ich die Klatschen intensiver, das Streicheln mutierte in zarte zu immer stärker werdenden Schlägen und bald war ich einem wahren Trommelfeuer ausgesetzt. Rücken, Beine, Bauch und die Genitalien waren abwechslungsweise Ziel der Hiebe. Wehrlos ausgeliefert zuckte ich nach jedem Peitschenhieb – zuckender Tanz in Fesseln zum musikalischen Rhythmus, der den Takt der Hiebe vorgab. Die Stimulation bewirkte eine grenzenlose Geilheit, die mich fast explodieren ließ. Immer, wenn es fast so weit war, daß ich glaubte, jetzt explodiere ich und spritze gleich ab, hinderte mich ein sanftes Streicheln, das für eine wohltuende Entspannung sorgte und mich auf die nächste Runde einstimmte (vorbereitete). Von Runde zu Runde steigerte sich die Heftigkeit bis hin zur völligen Ekstase und schließlich am Ende erlöste mich ein gewaltiger Orgasmus. Selten zuvor war ich bei einer lustvollen Peinigung so erregt und so geil wie in jener Nacht, wobei hier hinzuzufügen ist, daß dies nicht nur an der Wirkung der eingenommenen Drogen lag, sondern vor allem am Können und an der Sensibilität der beiden Kerle, die wahre Meister ihrer Ambitionen waren.

     

    Anmerkung:

    Viele Leute haben das Gefühl, man müsse pervers sein, wenn man sadomasochistische Techniken praktiziert. Fesseln und Peitschen hat mit Gewalttätigkeit eigentlich nichts zu tun. Es geht hier um die gezielte Stimulation bestimmter Körperregionen, die besonders effektiv in rhythmischer Abfolge gesteigert werden kann. Es handelt sich um eine echte Kunst, die zahlreiche Wesensverwandtschaften mit der Akupunktur hat. Für Kenner der Materie sei hier angemerkt, daß am Rücken die Stimulation besonders gut gelingt, wenn man sich der Reihe nach auf die Punkte 28, 23, 20, 15, 40 und 39 des Blasenmeridians sowie auf Punkt 4 des Du Mai Meridians (Lenkergefäß) konzentriert. An den Beinen erzielt man die stärkste Luststeigerung durch Bearbeitung der Punkte 6, 9 und 10 des Meridians der Milz, der Punkte 52 und 58 des Blasenmeridians sowie des Punktes 8 des Lebermeridians. In der Bauchgegend zeichnen sich die Punkte 3, 4 und 6 des Ren Mai Meridians (Konzeptionsgefäß), der Punkt 12 des Nierenmeridians sowie der Punkt 29 des Magenmeridians durch eine besonders große Effizienz aus.

    SM ist eine Art Tantra Yoga, in der praktizierenden Szene auch Hardcore Yoga genannt. Es geht hier um ein äußerst intensives Wechselspiel zwischen Spannung und Entspannung, vor allem aber geht es um Hingabefähigkeit und um Urvertrauen.

    SM-Praktiken beeinflussen die Ausschüttung bestimmter Neurotransmitter ebenso stark und rasch wie die Einnahme von psychoaktiven Substanzen. Die Erwartungshaltung (zuweilen auch Angst) vor und der Schreck beim Schlag verursacht eine verstärkte Ausschüttung der beiden Neurotransmitter Adrenalin und Noradrenalin, der folgende Schmerz bewirkt eine verstärkte Ausschüttung des Neurotransmitters Endorphin. Das Adrenalin sorgt für einen wachen Bewußtseinszustand und das Endorphin macht die Schmerzen erträglicher. Wachsen Adrenalin- und Endorphinspiegel gleichmäßig an, was durch eine langsame und stetige Steigerung der Schlagintensität hervorgerufen wird, dann verschiebt sich die Schwelle der Lustempfindung bei der Zufügung von Schmerzimpulsen immer weiter in den Bereich höherer Lust bei stärkerem Schmerz. Eine zu schnelle Steigerung der Intensität der Schmerzimpulse kann in Sekundenschnelle jegliches Empfinden von Lust am Schmerz zerstören und damit auch jegliche Geilheit. Ein "Programmwechsel" oder sofortiger Abbruch der Session ist dann unabdingbar.

    Methamphetamin steigert wie eine plötzliche Erwartungshaltung oder ein erschreckendes Erlebnis die Ausschüttung von Adrenalin, befördert also das Wachsein. LSD spiegelt dem Körper einen höheren Serotoninpegel vor, was intensivere Glücksgefühle hervorrufen kann. Durch die Kombination dieser beiden Substanzen kann die Erlebnisintensität bei einer SM-Session außerordentlich stark gesteigert werden. Es gilt hierbei zu bedenken, daß wenn die Partner nicht richtig zueinander passen und vor allem wenn das nötige Einfühlungsvermögen beim aktiven Part nicht gegeben ist und die Session zu einem Fehlschlag wird, dann wird unter Einfluß der oben genannten Substanzen dieser Fehlschlag auch mit einer gesteigerten Intensität wahrgenommen und erlebt, was im ganz anderem Sinne äußerst schmerzhaft sein kann.


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