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Bedingungen für eine innovative regionale Drogenpolitik in Deutschland

Zusammenfassung der Policy-Netzwerkanalyse
von Rüdiger Schmolke
Kurzbericht, Sommer 2000


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  1.   Überblick

Die vergangenen Jahre haben neben dem Streit um adäquate Hilfemaßnahmen, der die bundesdeutsche Drogenpolitik seit fast dreißig Jahren dominiert, auch eine Debatte um geeignete Regelungsprinzipen im Drogensektor unterhalb der gesetzlichen Regelung mit sich gebracht, die das staatliche Steuerungsmonopol in Frage stellen. Und auch wenn der gegenwärtige Stand der politisch-rechtlichen Regelung im bundesdeutschen Drogensektor aus Sicht von Befürwortern pragmatischer Reformen nur als kläglich bezeichnet werden kann, so lässt sich doch nicht übersehen, dass die Vertreter umfassender Reformvorschläge im drogenpolitischen Sektor, die letztlich das formalrechtliche Prohibitionssystem unterminieren und auf eine Liberalisierung des Drogenmarkts zielen, in der Debatte um das geeignete Problem-Management im Drogensektor im vergangenen Jahrzehnt ihre Position deutlich verbessert haben.

Ausgangspunkt der Durchsetzung innovativer Maßnahmen im Drogenbereich war stets die Initiierung lokaler Projekte, die durch Nutzbarmachung des pragmatischen Handlungsansatzes der Harm-Reduction breite Akzeptanz auf regionalpolitischer Ebene erlangen konnten. Warum es in einigen Städten und Regionen relativ frühzeitig gelang, am akzeptierenden Ansatz orientierte Projekte ins bestehende Hilfesystem zu integrieren und das Angebot im Drogenbereich entsprechend auszuweiten, während dies in anderen Regionen nicht oder nur schleppend der Fall war, bleibt jedoch bisher ebenso weitgehend im Dunkeln wie die Beantwortung der Frage, welche Faktoren eine langfristige Etablierung der akzeptanzorientierten Problemlösungsphilosophie gewährleisten. Erklärungsversuche über die Durchsetzung von Harm- Reduction- Maßnahmen rekurrieren bislang meist ausschließlich auf die personelle und/oder parteipolitisch-programmatische Ebene.

Mithilfe des Ansatzes der systemtheoretisch fundierten Policy-Netzwerkanalyse kann auf die Frage nach weiteren Ursachen für einen nachhaltigen Wandel der Drogenpolitik die Hypothese formuliert werden, dass ein enger Zusammenhang zwischen den geltenden Koordinationsstrukturen beziehungsweise üblichen Kooperationsformen im drogenpolitischen Bereich und der Umsetzung innovativer Problemlösungsansätze in verschiedenen Regionen nachzuweisen ist.

Im Rahmen einer qualitativen Analyse der regionalen drogenpolitischen Regelungen im Bereich Partydrogen konnte diese Hypothese untermauert und Rückschlüsse auf die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen relevanten drogenpolitischen Akteuren gezogen werden. Insbesondere die Form der Kooperation zwischen zuständigen staatlichen und verschiedenen privaten Organisationen scheint erheblichen Einfluss auf das Zustandekommen und die Durchsetzung innovativer Lösungsansätze im Drogensektor zu haben.

Durch die Konstruktion von Idealtypen, die die jeweiligen Koordinations- und Kooperationsstrukturen beschreiben und Zusammenhänge zwischen den drogenpolitischen Strukturen, der Aufgabenbearbeitung durch die staatlichen Akteure und der Entwicklung innovativer Problemlösungsansätze aufzeigen, sind Hinweise auf allgemein gültige Bedingungen gegeben, die zur Durchsetzung innovativer Drogenpolitik und -arbeit erheblich beitragen. Dieses Ergebnis kann auch politikberatend von Bedeutung sein, weil hier Hinweise darauf gegeben wurden, welche Rolle die staatliche Akteure im Prozess der Interessenaggregation am ehesten einnehmen sollten. Zu prüfen bleibt, ob die Ergebnisse der Analyse übertragbar sind auf andere Themenbereiche oder andere politische Ebenen.

 

 

 

  2.   Grundlagen bundesdeutscher Drogenpolitik aus
        politikwissenschaftlicher Sicht

Jede Form der Drogenpolitik ist real von einer Durchmischung kriminalpolitischer, sozialpolitischer und gesundheitspolitischer Elemente gekennzeichnet (Kreuzer 1982: 1166). Der Kern der politisch-rechtlichen Regelung im Drogensektor wird durch die strafrechtlich relevanten Teile des Betäubungsmittelrechts markiert. Dieses umfasst die Bestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes und zahlreiche Verordnungen (insbesondere Betäubungsmittel-Änderungsverordnungen). Ausdruck der den drogenpolitischen Sektor auf Bundesebene dominierenden Problemlösungsphilosophie geben darüber hinaus gesonderte Maßnahmenpakete wie der Nationale Drogenbekämpfungsplan von 1990 (BMI/BMJFFG 1990), Vereinbarungen über Zusammenarbeit auf internationaler Ebene und ähnliches.

Betrachtet man dagegen weniger die formalrechtliche, als vielmehr die materielle Dimension der dogenpolitischen Situation in Deutschland, so lässt sich konstatieren, dass die bundesdeutsche Drogenpolitik insgesamt seit Ende der 70er Jahre dominiert wird von der Auffassung, Drogenkonsum weniger als Delinquenz, sondern vielmehr als Krankheit einzustufen (vgl. Hartwig/Pies 1995: 95). Entsprechend ist die drogenpolitische Entwicklung der vergangenen zwanzig Jahre geprägt von der Institutionalisierung und dem Ausbau des Hilfesystems. Maßnahmen, die auf gesundheitspolitischer Basis auf eine Verbesserung der medizinischen Versorgung der Problemklientel Drogengebraucher zielen, sind zumindest bedingt konsensfähig, wie die zwar späte und nur unter Einschluss schwerwiegender Konzessionen an ihre Gegner vorangetriebene, letztlich aber erfolgreiche Durchsetzung von Methadonprogrammen, die Legalisierung von Fixerrräumen oder auch die Einleitung des Heroin-Modellprojekts zeigen.

Auch wenn ihre formale Anerkennung nur möglich war, indem diese innovativen drogenpolitischen Maßnahmen proklamatorisch auf ihre gesundheitspolitische Dimension reduziert worden waren, und man insofern tatsächlich von einer weitgehenden Medizinalisierung der drogenpolitischen Problemlösungs-Diskussion sprechen kann, so lässt sich doch ihre ursprünglich enge Verknüpfung mit Forderungen nach einer Verbesserung der sozialen Situation von Drogenkonsumenten und einer Liberalisierung des Drogenmarkts nicht völlig negieren. Insofern das Handeln der Protagonisten der Akzeptierenden Drogenarbeit zur Anerkennung ihrer Problemlösungsansätze stets von der Suche nach einem Weg der kleinen Schritte bestimmt war, bildet die grundsätzliche Infragestellung prohibitiver und kriminalpolitischer Regelungen also einen manifesten Bestandteil drogenpolitischer Reformbestrebungen. Die Implementierung und Ausweitung von Harm-Reduction-Maßnahmen können daher als »significant evolutionary steps in the direction of legalization« (Böllinger 1997: 159ff.) gewertet werden.

 


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