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Drogenpolitisches Memorandum

Die Drogenpolitik in Deutschland braucht eine neue Logik -
Forderungen zu einem drogenpolitischen Neubeginn


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  1. Falsche Antworten der herrschenden Drogenpolitik:
    Repression, Kriminalisierung und Pathologisierung

Die jahrelange Fokussierung der bundesdeutschen Drogenpolitik auf repressive Maßnahmen zur Bekämpfung von Drogenangebot und -nachfrage, wie sie im nationalen Rauschgiftbekämpfungsplan festgeschrieben wurde, führte zu einer Vielzahl von Fehlentscheidungen und -entwicklungen in den Bereichen Prävention, Hilfe und Unterstützung, Therapie und medizinische Behandlung. Die Art und Weise, wie das hierzulande festgeschriebene Abstinenzparadigma gegenwärtig drogenpolitisch umgesetzt wird, fördert zugleich eine gesellschaftliche Atmosphäre prinzipieller Ablehnung von Drogenkonsum und bestärkt irrationale Bedürfnisse nach harter Bestrafung nicht nur der DealerInnen, sondern auch der DrogenkonsumentInnen. Damit ist die deutsche Drogenpolitik verantwortlich für ein Klima der Intoleranz, in dem Feindbilder und soziale Ächtung ebenso gedeihen wie Vorurteile, Diskriminierung und Ausgrenzung, in dem im übrigen kaum pragmatische Lösungswege für Drogenprobleme gefunden werden können.

Vor diesem Hintergrund wird nicht nur die Entwicklung eines kontrollierten, genußorientierten und souveränen Drogengebrauchs für jene erschwert, die nicht auf den Konsum illegalisierter psychoaktiver Substanzen verzichten wollen. Da Repression durchgängig auch die gesundheits- und sozialpolitischen Aspekte der gegenwärtigen Drogenpolitik dominiert, werden drogenkonsumierende Menschen zusätzlich mit den Folgen dieser verfehlten Politik konfrontiert. Schließlich wird auch die alltägliche praktische Bewältigung von Drogen- und AIDS-Problemen durch unnötige Barrieren behindert.

Die Erfahrungen der vergangenen 25 Jahre belegen: Mit repressiver Drogenpolitik und deren Fixierung auf das Strafrecht gelingt es nicht, den Konsum psychoaktiver Substanzen in der Gesellschaft zurückzudrängen. Die gegenwärtige Praxis zeigt vielmehr, daß der Umgang der Menschen mit psychoaktiven Substanzen durch gesetzliche Verbote und Strafandrohungen nicht gesteuert oder unterbunden werden kann; letztere schaffen sogar zusätzliche Anreize – eben den sprichwörtlichen "Reiz des Verbotenen". Steigende oder gleichbleibend hohe Prävalenzraten des Drogenkonsums sind die unübersehbare Bankrotterklärung einer auf Strafrecht gestützten Abschreckungsstrategie. Der "generalpräventive" Zweck des Strafrechts läuft völlig ins Leere. Trotz Verbots kommt es täglich zigtausendfach zum Normbruch, der öffentlich allzu oft mit vermeintlich pathologischem Verhalten sogenannter Randgruppen in Verbindung gebracht wird. Tatsächlich aber wird illegalisierter Drogengebrauch, etwa was Cannabis oder Ecstasy betrifft, mehrheitlich längst von gesellschaftlich integrierten – um nicht zu sagen: bürgerlichen – Gruppen praktiziert und dementsprechend billigend in Kauf genommen.

Prohibitionsmaßnahmen geben dem Drogenangebot lediglich seine besondere Spezifik: Sie produzieren einen illegalisierten Schwarzmarkt mit willkürlicher Preisbildung, der Kontrollen hinsichtlich der Zusammensetzung und Qualität der Substanzen erschwert, das Entstehen krimineller Handelsstrukturen fördert und die KonsumentInnen in unsichere, diskontinuierliche Versorgungslagen verweist. Hohe Schwarzmarktpreise nötigen Abhängige zugleich zu Beschaffungskriminalität und -prostitution.

Die bisherigen und die gegenwärtig diskutierten Maßnahmen zur Bekämpfung der sogenannten organisierten Kriminalität ("Geldwäscheparagraph", "kleiner" und "großer Lauschangriff" bis in die Intimsphäre hinein, Erweiterung der Möglichkeiten verdeckter ErmittlerInnen usw.) haben den Umfang des illegalisierten Handels mit Opiaten, Kokain, Cannabis und Stimulanzien nicht wesentlich beeinflußt. Vielmehr gibt der Staat mit der Prohibition Möglichkeiten aus der Hand, seinen gesellschafts- und gesundheitspolitischen Verpflichtungen zum Schutz seiner BürgerInnen durch steuernde und regulierende Mechanismen nachzukommen (z.B. Preisgestaltung, Lizensierung, Produkt- und Qualitätskontrollen, Verkaufsbeschränkungen, Produzentenhaftung, Werbeeinschränkungen u.ä.). Deutlich wird, daß die Prohibition Drogenprobleme verschärft und bei der Bewältigung von Sucht- und Drogenproblemen kontraproduktiv ist.

Daneben erfüllt das Betäubungsmittelgesetz die Rolle eines Wegbereiters und Schrittmachers in eine veränderte Strafrechtsdogmatik: Bislang galt die verfassungsrechtlich fundierte Funktion des Strafrechts, nach der eine Kriminalstrafe nur als letzte in Betracht kommende Sanktion verhängt werden darf. Mittlerweile belegen jedoch vielfältige Beispiele, daß durch das Betäubungsmittelgesetz eine Vorverlagerung von Straftatbeständen erfolgt, durch die der Grundsatz der tatbezogenen Deliktahndung längst zugunsten eines dem Polizei- und Ordnungsrecht immer ähnlicher werdenden Präventions- und Risikovorbeugungsstrafrecht aufgegeben wurde. Vorverlagerte Straftatbestände werden heute überall dort flankierend herangezogen, wo ordnungs- oder gewerberechtliche Vorschriften nicht ergiebig genug erscheinen. Exemplarisch genannt seien hierfür die neueingeführte Strafbarkeit des Umgangs mit Cannabissamen sowie die inflationäre Ausweitung der Strafdrohung für den Umgang mit chemischen Grundsubstanzen, die sich zur Herstellung von Ecstasyprodukten eignen.

Im Zuge der Europäisierung droht die Übertragung dieser Politikmuster auch auf die Ebene der Drogenpolitik der Europäischen Union.

 

Kritik des Drei- und Vier-Säulen-Modells

Im Unterschied zur Orientierung Deutschlands an den drei "Säulen der Drogenpolitik" (Prävention, Repression und Therapie) wird beispielsweise in der Schweiz zusätzlich als viertes Politikelement die "Überlebenshilfe" weithin praktiziert und kontinuierlich weiterentwickelt. In diesem Bereich der Drogenhilfe wird für besonders verarmte und gesundheitlich gefährdete Menschen ein Leben mit Drogen akzeptiert. Unter dem Gesichtspunkt von "harm reduction" bietet das niedrigschwellige, akzeptierend arbeitende Hilfesystem eine Vielzahl unterschiedlicher Überlebens hilfen für sogenannte Schwerstabhängige an, die vom Konsumraum bis zur kontrollierten Originalstoffvergabe reichen. "Harm reduction"-Ansätze greifen die gegenwärtig politisch erzeugte Tatsache auf, daß aufgrund polizeilicher Verfolgung und Strategien der Szenezerschlagung Hilfsangebote von KonsumentInnen nicht in Anspruch genommen werden können, die dringend akuter (Über)Lebenshilfe bedürfen. Niedrigschwellige, akzeptierend arbeitende Angebote stellten bereits unter Beweis, daß drogenbezogene Probleme durch die Anstrengung des einzelnen und – oft – unter Zuhilfenahme langfristiger professioneller Unterstützung und medizinischer Behandlung bewältigt werden können. Daher bedarf es eines professionellen, ausdifferenzierten Hilfesystems, das als elementarer Bestandteil des Grundrechts und des solidarischen Anspruchs auf angemessene gesundheitserhaltende, -fördernde und -wiederherstellende Hilfe der Gesellschaft zu sichern und weiterzuentwickeln ist.

Dennoch darf nicht übersehen werden, daß die derzeitigen Angebote der Überlebenshilfe aus der "Elendsverwaltung" nicht herausführen. Dies wird beispielsweise daran erkennbar, daß die Angebote der Überlebenshilfe in der Schweiz wie auch auf kommunaler Ebene in Deutschland in der Regel mit Repressionsmaßnahmen verknüpft und von diesen durchzogen sind. So ist die Einrichtung von Druckräumen fast immer mit Polizeiaktionen zur Zerschlagung der offenen Drogenszene verbunden. Geregelte Konsumangebote stehen faktisch unter einem Interpretationsvorbehalt der örtlichen Strafverfolgungsbehörden und sind, wenn überhaupt, nur als "Sonderwirklichkeit" im Rahmen des Hilfesystems für sogenannte Schwerstabhängige rechtlich abgesichert.

Unübersehbar gehorcht die Ergänzung der traditionellen Drogenpolitik durch Überlebenshilfe in der Regel ordnungspolitischen Gesichtspunkten zur Kriminalitätsbekämpfung, Säuberung einzelner Stadtteile oder zur Befriedung der AnwohnerInnen. Das bloße Hinzufügen akzeptierender Ansätze zur überwiegend repressiven und prohibitiven Drogenpolitik führt – abgesehen von der ordnungspolitischen Engführung – zugleich zu deren insgesamter Inkonsistenz. Geht man von den vier drogenpolitischen Säulen (Prävention, Repression, Therapie und Überlebenshilfe) aus, so muß im Rahmen einer veränderten Drogenpolitik das gegenwärtig dominierende Element "Repression", das mehr oder weniger deutlich auch die Ansätze von Prävention, Therapie und Überlebenshilfe prägt, zugunsten akzeptierender Angebote und wirksamer Prävention deutlich eingeschränkt und längerfristig gänzlich abgeschafft werden. Das Strafrecht ist kein Instrument, um den Umgang mit Drogen zu regeln. In der Durchsetzung und steten Vervollkommnung des sogenannten Vier-Säulen-Modells der Drogenpolitik kann deshalb nicht die Perspektive einer innovativen und konsistenten Drogenpolitik liegen.


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