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Drogenpolitisches Memorandum

Die Drogenpolitik in Deutschland braucht eine neue Logik -
Forderungen zu einem drogenpolitischen Neubeginn


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  1. Drogenmündigkeit als Ziel einer konsistenten Drogenpolitik im Kontext umfassender Gesundheitsförderung

Notwendig ist ein Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik, der die enttabuisierte Debatte um Nutzen und Schaden des Konsums psychoaktiver Substanzen eröffnet. Es geht darum, einen möglichst souveränen Umgang mit Drogen sowie das rechtzeitige Signalisieren von Hilfebedarf im Prozeß des "Lernens" von Drogenkonsum gesellschaftlich zu fördern und zu unterstützen. Drogenmündigkeit setzt geeignete Rahmenbedingungen und die individuelle Befähigung zu genußorientiertem und autonom kontrolliertem Drogenkonsum voraus. Nach diesem Grundsatz hat die Drogenpolitik Lebensbedingungen und Unterstützungssysteme zu schaffen, die die möglichen Risiken beim Gebrauch psychoaktiver Substanzen vermindern, dem Einstieg in zerstörerische, abhängige Lebensweisen – genauer: Lebensstile – entgegenwirken und dadurch die Entwicklung von Drogenmündigkeit fördern.

Der Begriff der Drogenmündigkeit gestattet es, die akzeptierenden und auf Selbstbestimmung basierenden Angebote der Drogenselbsthilfe und der Drogenarbeit mit einer Umorientierung der Prävention konzeptionell stimmig zu verknüpfen. Dies bedeutet, daß die Ausrichtung der Prävention am prohibitiven Ideal der Abstinenz ersetzt werden muß durch die Förderung von Drogenmündigkeit. Darin enthalten sein kann auch die Fähigkeit zu selbstgewählter Abstinenz.

 

Vor diesem Hintergrund fordern wir

  • die Abkehr von der prohibitiven Logik des Nationalen Rauschgiftbekämpfungsplans,

  • Impulse gesellschaftlich bedeutender Gruppen und Institutionen (Parlamente, Parteien, Verwaltungen, Kirchen, Gewerkschaften, Schulen, Jugend- und Jugendsozialarbeit, usw.) für die Herstellung eines breiten gesellschaftlichen Konsenses zur Förderung von Drogenmündigkeit sowie für eine Veränderung der öffentlichen Meinung in Richtung auf Toleranz und Akzeptanz eines Lebensstils, der den Gebrauch derzeit illegalisierter Drogen mitumfaßt. Hierzu gehört eine aktive, stete Informationsvermittlung zu Drogenkultur und Drogenkonsum,

    • die realistisch ist, indem sie davon ausgeht, daß der Gebrauch psychoaktiver Substanzen für die KonsumentInnen in der Regel funktional ist,

    • die pragmatisch ist, über Risiken aufklärt und den Umgang der Menschen mit diesen Substanzen zum Dreh- und Angelpunkt definitorischen Denkens werden läßt,

    • die auf eine bedarfs- und bedürfnisorientierte Lebensgestaltung zielt, ohne sich auf verkürzte Vorstellungen zum Zusammenhang von Drogenkonsum und vorgeblich defizitären sozialen oder persönlichen Problemstellungen zu berufen;

  • die Entwicklung innovativer Formen der kulturellen Einbindung von Drogen beispielsweise durch die Stärkung des "self-empowerment" der unterschiedlichen Szenen mit dem Ziel, zum Risikomanagement im Umgang mit Drogen zu befähigen.

 

Forschungspolitik

Über die Möglichkeiten und Grenzen der sozialen Integration von Drogen, die bisher nicht allgemein gebraucht wurden, die Entwicklung und Reichweite kultureller Techniken bei der Ausprägung souveränen Umgangs mit psychoaktiven Substanzen, die Wirkmechanismen von Hilfen sowie die Grundlagen und Strukturen zerstörerischer Abhängigkeitsentwicklungen liegen hierzulande nach wie vor nur wenige wissenschaftliche Erkenntnisse vor. Eine Abkoppelung vom internationalen Stand der Suchtforschung ist zu konstatieren. Hingegen ist davon auszugehen, daß in den einzelnen Drogenszenen ein umfangreiches soziales Wissen und eine Vielzahl von Erfahrungen dazu vorliegen, die über Forschung der Gesellschaft zugänglich zu machen sind.

Heute stellt sich – gerade im internationalen Vergleich – die Forschung in der Bundesrepublik auf dem Gebiet der Suchtgenese und der Kulturgeschichte des Gebrauchs psychoaktiver Substanzen sowie der Epidemiologie und Therapiequalitätssicherung sogar als ausgesprochen rückständig dar. Weder gibt es eine systematische Lehre und Ausbildung an den Universitäten und Fachhochschulen noch eine kontinuierliche Förderung von Forschungseinrichtungen, Dokumentationszentren und Forschungsverbünden. Die Forschung in Deutschland ist durch das Leitbild der Abstinenz in die Irre geführt worden und kann daher nicht ergebnisoffen vorgehen. Die wenigen deutschen Forschungsprojekte orientieren sich mehrheitlich an Konzeptionen und Ansätzen, die die Stigmatisierung, Psychiatrisierung und Psychologisierung drogenkonsumierender Menschen festschreiben helfen ("Risikofaktoren", CMA-Index für sogenannte Schwerstabhängigkeit u.ä.). Die deutsche Forschungslandschaft leidet schließlich auch darunter, daß im Rahmen von Schwerpunktförderungsprogrammen überwiegend klinisch orientierte Projekte mit neurobiologischem oder pharmakologischem Schwerpunkt gefördert wurden. Dem gegenüber werden sozialmedizinisch, sozialepidemiologisch und kulturwissenschaftlich ausgerichtete Vorhaben fortgesetzt benachteiligt. Das unbestreitbare Forschungsdefizit muß über einen pluralen Forschungsansatz so schnell wie möglich aufgearbeitet werden.

 

Deshalb fordern wir

  • das Schaffen von Studien- und Forschungszentren für akzeptierende Drogenforschung, die – ergebnisoffen und modellhaft – vom Bund finanziert werden;

  • die besondere Förderung einer "community-based"-Forschung; das heißt die organisierte Drogenselbsthilfe sollte an sämtlichen Planungs-, Durchführungs- und Evaluationsfragen sowohl im klinischen als auch im sozialwissenschaftlichen und epidemiologischen Forschungkontext beteiligt werden (Partizipation); die Forschung sollte überdies ausdrücklich auf das Wissen und die Erfahrungen der jeweiligen Szenen rekurrieren;

  • die kritische Prüfung von Forschungslinien nach dem Kriterium, ob einer weiteren Stigmatisierung, Pathologisierung und Psychiatrisierung drogengebrauchender Menschen entgegengearbeitet wird oder ob diesen Vorschub geleistet wird;

  • die Einrichtung einer unabhängigen, neutralen Kommission für Drogenforschung, über die der Forschungsbedarf erhoben und die Mittel für Forschungsvorhaben nach wissenschaftlich begründeten Kriterien vergeben werden.


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