Sex, Parties und Infektionskrankheiten

Redaktion Webteam www.eve-rave.net Berlin
Pressemitteilung vom 8. März 2005

Obwohl in Berlin immer mehr Menschen mit finanziellen und sozialen Nöten zu kämpfen haben, wird in Berlin viel gefeiert. Die Partykalender präsentieren für die Ostertage ein vielfältiges und reichhaltiges Angebot. Dazu gehören auch zahlreiche Sexparties für Schwule Männer, deren Attraktivität Besucher aus ganz Europa anlocken. Doch für leichtsinnige Besucher, die "Safer-Sex-Hinweise" respektive "Safer-Use-Hinweise" außer acht lassen, sind solche Parties mit einem hohen Infektionsrisiko verbunden. Eve & Rave Berlin hat bereits in der Pressemitteilung vom 19. Februar 2005 zum Thema "Safer-Sniffing" auf diese Risiken hingewiesen, insbesondere betreff verschiedener sexuell übertragbarer Darmerkrankungen wie die Shigellose und die Chlamydien-Infektion. Wenige Tage später hat das Robert Koch Institut in seinem Epidemiologischen Bulletin ebenfalls auf das Infektionsrisiko mit diesen Darmerkrankungen hingewiesen und Empfehlungen für homosexuelle Männer zum Schutz der Gesundheit veröffentlicht.

Von allen in Deutschland im Jahr 2004 registrierten Syphilis-Infektionen wurden 19,7% in Berlin registriert, von allen HIV-Neu-Infektionen im Jahr 2004 entfielen 16,7% auf Berlin und von allen Hepatitis-C-Infektionen in den ersten sechs Wochen des Jahres 2005 entfielen 12,6% auf Berlin. Bezüglich eines Anteils von 4,1% an der Gesamtbevölkerung Deutschlands sind diese Zahlen alarmierend hoch. "Safer-Sex", "Safer-Use" und "Safer-Sniffing" sind Handlungsweisen, die dem eigenen Gesundheitsschutz dienen wie auch dem der anderen. Empfehlungen zu diesen Handlungsweisen haben nichts mit Moral oder Prüderie zu tun, sondern fundieren im Respekt vor der Unversehrtheit von Leib und Leben anderer Menschen.

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http://www.eve-rave.net/abfahrer/presse/presse05-03-08.pdf 
 

Shigellose: Gehäuftes Auftreten bei Männern in Berlin im Jahr 2004

Im Epidemiologisches Bulletin des Robert Koch Institutes vom 25. Februar 2005 /Nr. 8 [Aktuelle Daten und Informationen zu Infektionskrankheiten und Public Health] wurden aktuelle Daten zur Verbreitung der Shigellose in Berlin veröffentlicht. Die Shigellose [Bakterienruhr, Shigellenruhr] ist eine weltweit verbreitete Durchfallerkrankung, die durch Bakterien der Gattung Shigella übertragen wird. Man unterscheidet vier Spezies mit unterschiedlicher geografischer Verteilung und Virulenz: S. sonnei, S. flexneri, S. dysenteriae und S. boydii. Die Übertragung erfolgt fäkal-oral als Schmierinfektion, über kontaminierte Lebensmittel oder über Trinkwasser. Eine sexuelle Übertragung über oro-anale Kontakte, möglicherweise auch durch direkte retrograde Inokulation [unbeabsichtigte Übertragung von Krankheitserregern] z.B. durch kontaminierte Dildos oder ähnliches, ist wie bei anderen fäkal-oral übertragbaren Erregern möglich. Die minimale Infektionsdosis ist gering [< 100 Bakterien], da die Erreger säurestabil sind und die Einwirkung der Magensäure gut überstehen. Nach einer Inkubationszeit von 1 bis 3 Tagen beginnt die Erkrankung mit Durchfall, kolikartigen Bauchschmerzen und Fieber. In Abhängigkeit von der auslösenden Shigellenspezies treten unterschiedlich schwere Verläufe auf. In Extremfällen kommt es unbehandelt zu wochenlang anhaltenden blutigen Durchfällen mit hohem Fieber. Die Erreger vermehren sich im Darm und werden über den Stuhl ausgeschieden. Ohne antibiotische Therapie können die Shigellen noch mehrere Tage bis Wochen nach Ende der klinischen Symptomatik ausgeschieden werden. Eine entsprechende Antibiotikatherapie verkürzt diesen Zeitraum auf wenige Tage, wobei zu beachten ist, daß die in der Schwulenszene kursierende Erreger starke Resistenzmuster aufweisen mit Resistenzen gegen Ampicillin, Streptomycin, Sulfonamide, Spektomycin, Tetrazykline und Trimethoprim.

Bereits seit dem Frühjahr 2004 waren Ärzte aus den HIV-Schwerpunktpraxen über den Arbeitskreis AIDS niedergelassener Ärzte Berlin e.V. auf die Zunahme von Shigellen-Infektionen und ein mögliches Ausbruchsgeschehen in der Risikogruppe hingewiesen worden. Zusätzlich wurde vom Robert Koch Institut ein Informationstext zur möglichen sexuellen Übertragung von Shigellen-Infektionen bei schwulen Männern in Berlin an schwule Stadtmagazine in Berlin [Siegessäule und Sergej] und schwule Internetportale weitergegeben. Mit Hilfe der gezielten Information an Gesundheitsämter, behandelnde Ärzte, Patienten und Angehörige der Risikogruppe sollten Verhaltensempfehlungen zum Schutz vor der Weiterverbreitung publik gemacht werden. Diese Bemühungen waren leider nur mäßig erfolgreich: Die Stadtmagazine konzentrierten sich zu diesem Zeitpunkt bei den Gesundheitsthemen auf HIV und Syphilis und zeigten kein Interesse, und nur ein Teil der angesprochenen Webseiten griff das Informationsangebot auf, so daß die Reichweite der Informationsvermittlung in die Betroffenengruppe nur als gering eingeschätzt werden kann.

 

Erneut verstärktes Auftreten von Shigellose in Berlin

In den ersten fünf Wochen dieses Jahres wurden in Berlin bereits 20 Fälle von Shigellose registriert, im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es nur drei. Das Infektionsrisiko ist somit um ein Vielfaches höher als vor Jahresfrist. Die Datenanalyse zeigt eindeutig, daß sich das Ausbruchsgeschehen in Berlin auf Männer im Alter zwischen 20 und 59 Jahren beschränkt, die die Shigellen-sonnei-Infektion in Deutschland erworben haben. 90% der Patienten des Ausbruchsgeschehens hatten ihren Wohnsitz in den fünf zentralen Berliner Stadtbezirken Tempelhof - Schöneberg, Pranzlauer - Berg - Pankow, Charlottenburg - Wilmersdorf, Friedrichshain - Kreuzberg und Mitte.

Die epidemiologischen Ergebnisse der Ausbruchsanalyse in Kombination mit den Resultaten der mikrobiologischen Subtypisierung der Erregerisolate lassen vermuten, daß sexuelle Kontakte unter homosexuellen Männern für die Weiterverbreitung bei diesem Ausbruch verantwortlich waren. Jedenfalls muß – das zeigen unter anderem der vorangegangene Shigellenausbruch im Jahre 2001, der seit Anfang 2003 andauernde Lymphogranuloma-venereum-Ausbruch [LGV] und der fast synchrone Anstieg der Syphilisfälle bei homosexuellen Männern in europäischen Großstädten – mit dem raschen Überspringen von STI-Ausbrüchen [Ausbrüche von sexuell übrtragbaren Krankheiten] auf andere Städte und Länder jederzeit gerechnet werden.
 

Chlamydien-Ausbrüche  –  Lymphogranuloma-venereum-Ausbrüche  –  bei homosexuellen Männern

Lymphogranuloma venereum [LGV] ist eine sexuell übertragbare Erkrankung, die durch die Serotypen L1, L2 und L3 von Chlamydia trachomatis verursacht wird. Klinische Beschwerden bei LGV: Die Primärläsion [erste Schädigung] besteht aus einer in der Regel schmerzlosen Papel [in der Regel erbsengroßes Bläschen] am Eintrittsort des Erregers, die im weiteren Verlauf nach 3 bis 30 Tagen ulzerieren kann [sich zu einem Geschür entwickeln kann]. Falls diese Läsion in der Harnröhre, der Scheide oder im Rektum auftritt, bleibt sie oft unbemerkt. Die Primärläsion kann mit einer Syphilis-Primärläsion oder einem genitalen Herpes verwechselt werden. Als typische klinische Symptomatik im weiteren Verlauf gilt die ein- oder beidseitige, oft schmerzhafte Schwellung von Lymphknoten im Einzugsbereich der Primärläsion. Die Lymphknoten können einschmelzen. Bei anorektaler [After und Mastdarm betreffend] Manifestation entwickelt sich eine hämorrhagische Proktitis [blutende Mastdarmentzündung] oder Proktokolitis, ähnlich anderen entzündlichen Enddarmerkrankungen wie z.B. Morbus Crohn. Falls in diesem Stadium keine korrekte Diagnose und Behandlung erfolgt, chronifiziert die Erkrankung mit Bildung von Fisteln, Strikturen und Pseudotumoren, die als Risikofaktoren für die Entstehung von Dickdarmkrebs gelten. Durch Entzündung und Vernarbung der Lymphbahnen kommt es zu Lymphstauung [je nach Lokalisation führt diese zu genitaler Elephantiasis [unförmige Anschwellung der Genitalien] oder Lymphorroiden, ähnlich Hämorrhoiden].

Als Infektionsländer wurden neben Großbritannien auch die Niederlande, Spanien, Deutschland und Italien angegeben. Als Infektionsweg kommt bei der Mehrzahl der Betroffenen ungeschützter rezeptiver Analverkehr in Frage.
 

Empfehlungen für homosexuelle Männer

Homosexuelle Männer sollten beachten, daß infektiöse Durchfallerkrankungen auch über sexuelle Kontakte auf oro-analem Weg übertragen werden können. Deshalb sollten Patienten mit ungeklärter, möglicherweise infektiös bedingter Durchfallerkrankung auf übertragungsrelevante sexuelle Kontakte bis zur diagnostischen Klärung oder bis einige Tage nach Sistieren der Symptomatik [Abflauen der Beschwerden] verzichten. Patienten aus der Risikogruppe mit Durchfallsymptomatik sollten auf jeden Fall ihren behandelnden Arzt auf die Möglichkeit einer Shigellen- respektive Chlamydien-Infektion aufmerksam machen und möglichst zügig eine
infektiöse Ursache labordiagnostisch abklären lassen. Bei gesicherter Diagnose sollten Patienten ihre Kontaktpersonen über eine mögliche Ansteckung informieren und auf sexuelle Kontakte bis zur Ausheilung der Krankheit verzichten.

Nicht nur erkrankte Personen sollten das Infektionsrisiko bei der gleichzeitigen Benutzung von Sex-Toys [z.B. Dildos] und anderen Hilfsmitteln [z.B. Gleitmittel] bedenken und vermeiden. Nach manual-analen respektive manual-rektalen Massagen [Fausfick] sind die Hände gründlich zu reinigen respektive zu desinfizieren, bevor man Speisen in die Hände nimmt. Vorzugsweise benutzt man dünne Gummihandschuhe für solche Praktiken, dies ist "safer" [sicherer], jedoch auch nicht absolut "safe" [absolut sicher].

Wer häufiger Amphetamin oder Kokain schnupft und/oder häufiger Poppers benutzt, sollte bedenken, daß die Nase innen verletzt sein kann. Nach dem Reinigen von Dildos oder nach einem Fausfick sollte man deshalb nicht mit den Fingern in der Nase bohren – nicht weil dies "unschicklich" ist, sondern weil man sich dabei infizieren kann. Ebenso sollte man nicht mit verschmutzten Fingern mit Schnupfutensielien hantieren oder die nächste "Linie" zubereiten. Weitere Hinweise zu "Safer-Sniffiing" siehe:
http://www.eve-rave.net/abfahrer/presse/presse05-02-21.html
 

Empfehlungen für Betreiber von Bars, Saunen und Veranstalter von Sex-Parties

In Saunen sollte auf eine ausreichende Chlorung des Badewassers von Whirl-Pools geachtet werden. Bars und Partyveranstalter [insbesondere Veranstalter von Sex-Parties] sollten Seifenspender und Händedesinfektionsmittelspender in Waschräumen installieren.
 

Weitere Hinweise

Eve & Rave Berlin: "Safer-Sniffing"   –  Pressemitteilung vom 19. Februar 2005
http://www.eve-rave.net/abfahrer/presse/presse05-02-21.html

Robert Koch Institut: Epidemiologisches Bulletin vom 25. Februar 2005 / Nr. 8
http://www.rki.de/cln_011/nn_226464/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2005/08__05,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/08_05

Robert Koch Institut: Epidemiologisches Bulletin vom 4. März 2005 / Nr. 9
http://www.rki.de/cln_011/nn_226464/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2005/09__05,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/09_05
 
 

Berlin, den 8. März 2005
Redaktion Webteam Eve & Rave e.V. Berlin

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