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Pressemitteilung vom 21. Juni 2004
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Absehen von Strafe bei geringfügigen konsumbezogenen Delikten
Pflicht zu einer einheitlichen Einstellungspraxis
Das Bundesverfassungsgericht verpflichtet die Bundesländer in seinem Beschluß vom 9. März 1994 für eine im wesentlichen einheitliche Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften zu sorgen. Im Absatz 169 des Beschusses heißt es wörtlich:
"Die Vorschrift des § 31a BtMG gestattet der Staatsanwaltschaft in weitem Umfang, Ermittlungsverfahren ohne Mitwirkung des Gerichts einzustellen; sie eröffnet damit zugleich die Möglichkeit, die Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften durch Verwaltungsvorschriften zu steuern. Die Länder trifft hier die Pflicht, für eine im wesentlichen einheitliche Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften zu sorgen, zumal es sich um das den Einzelnen besonders belastende Gebiet der Strafverfolgung handelt. Ein im wesentlichen einheitlicher Vollzug wäre nicht mehr gewährleistet, wenn die Behörden in den Ländern durch allgemeine Weisungen die Verfolgung bestimmter Verhaltensweisen nach abstrakt-generellen Merkmalen wesentlich unterschiedlich vorschrieben oder unterbänden."
Da der Entscheid des Bundesverfassungsgerichtes bereits nach weniger als 18 Monaten nach dem Inkrafttreten des § 31a BtMG gefällt wurde, könnte das Gericht noch keine dauerhaft unterschiedliche Handhabung der Vorschrift in den einzelnen Bundesländern feststellen, forderte jedoch den Gesetzgeber in Absatz 170 auf, wenn dies erforderlich ist, weitere gesetzliche Konkretisierungen der Einstellungsvoraussetzungen vorzunehmen:"Gesicherte Erkenntnisse zur Anwendung des § 31a BtMG, die auf eine dauerhaft unterschiedliche Handhabung auch dieser Vorschrift in den Ländern schließen ließen, liegen derzeit noch nicht vor. Der Gesetzgeber darf abwarten, ob der neugeschaffene, speziell auf Konsumentenvergehen im Betäubungsmittelrecht zugeschnittene Tatbestand des § 31a BtMG zu einer im wesentlichen gleichmäßigen Rechtsanwendung in diesem Rechtsbereich führt oder ob weitere gesetzliche Konkretisierungen der Einstellungsvoraussetzungen erforderlich sind."
Stark unterschiedliche Einstellungspraxis in den verschiedenen Bundesländern
Eine Studie zur Rechtsgleichheit und Rechtswirklichkeit bei der Strafverfolgung von Drogenkonsumenten der Kriminologischen Zentralstelle Wiesbaden e.V., die von Susanne Aulinger im Auftag des Bundesministeriums für Gesundheit durchgeführt und 1997 publiziert wurde, hat sich mit der Problematik der Rechtsgleichheit in den verschiedenen Bundesländern befaßt und hierzu staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakten aus dem Jahr 1995 – also ein Jahr nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes – ausgewertet. Ganz im Gegensatz zum Gebot des Bundesverfassungsgerichtes von 1994, der Gesetzgeber müsse sicherstellen, daß eine im wesentlichen einheitliche Einstellungspraxis gewährleistet sei, zeigten die Daten und Fakten in der Studie ganz erhebliche regionale Unterschiede auf. Beispielsweise nennt Susanne Aulinger auf Seite 171 (Tabelle 7) für die einzelnen Bundesländer jeweils die Zahl der Tatverdächtigen zu allgemeinen Verstößen nach § 29 BtMG sowie die jeweilige Zahl der Einstellungen nach § 31a Abs. 1 BtMG. Setzt man die aufgeführten Werte direkt zueinander in Relation, zeigt sich, daß im Jahr 1995 in Schleswig-Holstein die Einstellungsrate bei 92% lag, in Sachsen und Sachsen-Anhalt jedoch nur bei 10%. So stellt Susanne Aulinger auch unmißverständlich auf Seite 229 fest, daß die Analyse tatbezogener Einstellungskriterien teilweise gravierende Unterschiede bei der Handhabung des § 31a BtMG in den einzelnen Ländern offenbare. Dennoch vertritt Susanne Aulinger auf Seite 325 die Position, daß bei der gesetzlichen Regelung zu Cannabis kein Handlungsbedarf bestehe, da beim Umgang mit Cannabis hinsichtlich der Mengen, bei denen § 31a BtMG regelmäßig zur Anwendung komme, ein so hohes Maß an Übereinstimmung in der strafrechtlichen Praxis bestehe, daß von einer im wesentlichen einheitlichen Rechtsanwendung gesprochen werden könne.
Die unterschiedlichen "geringen Mengen"
Auf dem Internetportal www.drug-infopool.de , einem Projekt
der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen, findet man unter der URL
http://www.drug-infopool.de/verordnung.html
aktuelle Angaben zu den Verordnungen der einzelnen Bundesländer zur
Mitführung geringer Mengen Cannabis bzw. dem Eigenbedarf von Cannabis.
In Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen wurden keine mengenmäßige
Festlegungen der geringen Menge vorgenommen, um den Eindruck in der
Öffentlichkeit zu vermeiden, Besitz und Erwerb von bestimmten Mengen
Cannabis seien staatlich toleriert. Auch in Mecklenburg-Vorpommern wird
nach Einzelfallprüfung entschieden, ob das Verfahren eingestellt werden
kann. Einstellungen erfolgten bisher lediglich in "wenigen besonders
gelagerten Einzelfällen, in denen die Beschuldigten nicht mehr als
fünf Gramm Haschisch in Besitz hatten".
In Bayern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt wurde eine Obergrenze der geringen Menge Cannabis festgelegt, bis zu der Verfahren von den Staatsanwaltschaften eingestellt werden können. In diesen drei Bundesländern kann bis zu einer Menge von sechs Gramm von den Staatsanwaltschaften das Verfahren eingestellt werden. In Hessen und Niedersachsen wurde eine Untergrenze festgelegt, bis zu der von der Strafverfolgung in der Regel abgesehen werden muß und eine Obergrenze, bis zu der von der Strafverfolgung abgesehen werden kann. In der Regel wird in diesen beiden Bundesländern bis zu sechs Gramm generell eingestellt, bei Gewichtsmengen von sechs Gramm bis 15 Gramm kann ein Absehen von Strafverfolgung erfolgen.
In vier Bundesländern wurde die Obergrenze, bei der Verfahren von den Staatsanwaltschaften eingestellt werden können, bei zehn Gramm Cannabis festgelegt, ohne jedoch eine Untergrenze festzulegen, bis zu der Verfahren eingestellt werden müssen. In Bremen wird im allgemeinen eine Menge von sechs bis acht Gramm, im Einzelfall bis zu zehn Gramm als gering angesehen. In Nordrhein-Westfalen sind zehn Gramm Haschisch und Marihuana bei einem Wirkstoffgehalt von 6% respektive fünf Gramm bei einem Wirkstoffgehalt von 12% noch eine geringe Menge, bei der üblicherweise eingestellt wird. In Rheinland-Pfalz und im Saarland werden im allgemeinen bis zu zehn Gramm als geringe Menge gewertet.
In Berlin werden grundsätzlich bis zu 15 Gramm toleriert, das heißt, der Besitz bleibt ohne strafrechtliche Folgen. Es wird den Gerichten überlassen, den Besitz von bis zu 30 Gramm ebenfalls straffrei zu behandeln. In Hamburg ist nur soviel Haschisch, wie in eine Streichholzschachtel paßt, dies entspricht in etwa 20 Gramm, eine geringe Menge, bei der generell das Verfahren eingestellt wird. In Schleswig Holstein sieht die Staatsanwaltschaft in der Regel Cannabisprodukte (außer Haschischöl) von nicht mehr als 30 Gramm (Bruttogewicht) als geringe Menge an.
Trotz der offensichtlichen ungleichen Rechtspraxis bezüglich der geringen Menge Cannabis in den einzelnen Bundesländern beschlossen die Justizminister der Länder auf ihrer Jahreskonferenz im November 2002, mit einer Angleichung der Regelungen zur straffreien Verfahrenseinstellung bei geringen Mengen von Cannabis zu warten. Die Mehrzahl der Minister sah keinen akuten Handlungsbedarf und wollte eine neue Studie des Max-Planck-Instituts für internationales Strafrecht in Freiburg abwarten, die gerade ein Monat zuvor im Oktober des Jahres 2002 angelaufen war um aktuelle Daten zur aktuellen Rechtspraxis in Deutschland zu ermitteln.
Studien zum Drogenkonsum und zur Strafverfolgungspraxis in Deutschland
Ziel der vom Max-Planck-Institut für ausländisches
und internationales Strafrecht in Freiburg derzeit durchgeführten
Studie Drogenkonsum und Strafverfolgungspraxis ist eine empirische
Untersuchung der (repressiven) Behandlung konsumbezogener Drogendelikte
durch die Strafverfolgungsbehörden und der sich daran anschließenden
(präventiven) Maßnahmen durch die Ordnungsbehörden. Das Projekt
wird im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung
durchgeführt.
http://www.iuscrim.mpg.de/forsch/krim/schaefer.html
Die Frage einer möglichst einheitlichen Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften und somit die Frage nach einer im Wesentlichen gleichmäßigen Rechtsanwendung bei eigenkonsumbezogenen Drogenverfahren steht im Zentrum dieser Forschungsstudie. Eine gleichmäßige Rechtsanwendung erscheint vor allem deshalb zweifelhaft, weil es auch zehn Jahre nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts noch nicht zu einer formellen Einigung der Bundesländer über eine einheitliche Handhabung der staatsanwaltlichen Einstellungspraxis im Bereich von § 31a BtMG gekommen ist und daher jedes Land die Anwendung mit eigenen Empfehlungen bzw. Richtlinien an die Staatsanwaltschaften regelt, die weiterhin in entscheidenden Punkten – wie etwa bei der Bestimmung des Kriteriums geringe Menge, der Frage des öffentlichen Interesses bei Drogenbesitz im Strafvollzug oder der Behandlung von Wiederholungstätern – zum Teil deutliche Diskrepanzen aufweisen.
An dieser Problemstellung setzt die Forschungsstudie an. Es sollen Erkenntnisse und statistische Daten gewonnen werden beispielsweise über die Häufigkeit und Umstände von Verfahrenseinstellungen nach § 31a BtMG und anderen Vorschriften, aber auch vor allem über die Verwirklichung der vom Gesetzgeber verfolgten Anliegen und die Umsetzung der in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes enthaltenen Vorgaben. Die Ergebnisse dieser Studie werden aller Voraussicht nach Ende Oktober2004 veröffentlicht werden.
Das Forschungsprojekt Drogenkonsum und Strafverfolgungspraxis
wird den ebenfalls im Jahr 2002 am Institut von Dr. Letizia Paoli (Sozialwissenschaftlerin)
begonnenen Deutschlandteil einer weit umfangreicheren internationalen Untersuchung
des amerikanischen Drug Policy Research Center der RAND Corporation
in Santa Barbara und Washington, DC eigenständig ergänzen. Diese
beschäftigt sich mit der Frage nach den möglichen Auswirkungen
verschiedener Modelle zum strafrechtlichen Umgang mit Cannabiskonsumenten
etwa in den USA, Europa und Australien auf den jeweiligen Drogenkonsum in
den einzelnen Ländern. [Siehe hierzu: Cannabis Non-Prosecution Policies
in Germany]:
http://www.iuscrim.mpg.de/forsch/krim/albrecht3_e.html
Infolge der vereinbarten Kooperation mit dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) wurde der Umfang des Deutschlandteils dieser internationalen Studie erheblich modifiziert und erweitert. So wird die Untersuchung der Einstellungspraxis nach § 31a BtMG auf sämtliche illegale Betäubungsmittel erweitert. Die Veröffentlichung der Ergebnisse war im ersten Halbjahr 2004 geplant, sie scheint sich jedoch zu verzögern.
Studie zum Cannabisgebrauch zwischen Normalität und Repression
Eine weitere Studie zum Thema Cannabisgebrauch und Repression wurde vom Sozialwissenschaftler Kurt H. G. Groll unter der Supervision von Prof. Dr. Karl-Heinz Reuband von der Universität Düsseldorf, Sozialwissenschaftliches Institut, Lehrstuhl für Soziologie II, mittels einer Befragung von Cannabiskonsumenten durchgeführt. In fünf deutschen Städten wurden hierzu Fragebögen ausgelegt. Für diese Offline-Befragung (Befragung mittels auf Papier gedruckten Fragebögen) wurden Kiel und Hamburg als Repräsentanten einer liberalen Drogenpolitik, Stuttgart und München als Repräsentanten einer repressiveren Drogenpolitik und Dresden als ein Ort aus den neuen Bundesländern ausgewählt.
Online-Befragung zu Cannabisgebrauch und Repression
Die Online-Befragung ist ein von der Offline-Befragung unabhängiges Forschungsprojekt und greift auf keinerlei finanzielle Förderung zurück und wird von dem Sozialwissenschaftler Groll allein über private Mittel umgesetzt. Bei diesem Projekt handelt es sich nicht um Auftragsforschung für eine staatliche oder private Institution, sondern um freie wissenschaftliche Forschung, die Groll in seiner Eigenschaft als Wissenschaftler eigenverantwortlich durchführt. Die im Rahmen dieser Umfrage erhobenen Daten werden in anonymisierter Form von Groll voraussichtlich im Rahmen seiner Dissertation publiziert. Bei der über das Internetportal www.cannabisumfrage.de durchgeführten Umfrage handelt es sich um eine bundesweite Umfrage unter Cannabiskonsumenten über einen via E-Mail zu verbreitenden Fragebogen. Der Fragebogen kann aber auch direkt vom Internetportal heruntergeladen werden, in Ruhe am Rechner ausgefüllt und dann in ausgefüllter Form anonym auf das Internetportal www.cannabisumfrage.de hochgeladen (zurückgeschickt) werden. Bei dem Fragebogen zum Cannabisgebrauch handelt es sich aus Vergleichsgründen um eine modifizierte Umsetzung des Offline-Fragebogens.
Zweck der Untersuchung ist es, zu erfassen auf welche Weise in verschiedenen Teilen Deutschlands mit dem Cannabiskonsum respektive mit den Cannabiskonsumenten umgegangen wird. Die Umfrage dient unter anderem dazu, die Unterschiede in verschiedenen Regionen bezüglich des Repressionsklimas auf verschiedenen Ebenen aufzuzeigen. Wie wird kontrolliert? Wie wird bestraft? Wie viel Angst hat man, entdeckt zu werden? Wie frei rede ich darüber, daß ich Cannabis konsumiere? Welche Folgen hat das Erleben von Repression (z.B. in Bezug auf das Vertrauen in Staat und Politik oder in Bezug auf die Entfaltungsmöglichkeiten von Jugendkulturen). Dabei geraten neben den formellen Instanzen sozialer Kontrolle wie Justiz, Polizei oder Führerscheinstelle auch informelle Kontrollinstanzen wie Lehrer, Arbeitgeber oder Familie ins Zentrum des Blickfeldes.
Die Umfrage ist nicht repräsentativ und sie kann auch aus methodischen Gründen nicht repräsentativ sein, weil um Repräsentativität zu gewährleisten, muß eine Zufallsstichprobe aus der sogenannten Grundgesamtheit der interessierenden Population gezogen werden. So etwas kann man jedoch nur, wenn die Grundgesamtheit dem Forscher bekannt ist. Weil die Grundgesamtheit der Deutschen, die Cannabisprodukte konsumieren, nicht bekannt ist, kann man auch aus ihr keine Zufallsstichprobe ziehen. Die erhobenen Daten können also in diesem Falle per se nicht verallgemeinert (generalisiert) werden. Nichts desto trotz macht es Sinn, die Befragung durchzuführen – da Repräsentativität nicht das alleinige Kriterium für einen Erkenntnisgewinn ist.
Berlin, den 21. Juni 2004
Redaktion Webteam Eve & Rave e.V. Berlin
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