Absinth jetzt auch in der Schweiz wieder legal

Redaktion Webteam www.eve-rave.net Berlin
Pressemitteilung vom 01. März 2005
 

Fast hundert Jahre lang war die Herstellung und der Vertrieb von Absinth in der Schweiz verboten, weit länger als in allen anderen europäischen Staaten. Ab heute, den 1. März 2005, ist Absinth auch in seinem Ursprungsland, der Schweiz, wieder ein hochprozentiges alkoholisches Getränk wie alle anderen Spirituosen es auch sind. In dieser Pressemitteilung wird die Geschichte des Absinths, seine kulturelle Bedeutung, seine Verdrängung aus dem Alltagsleben durch die Prohibition sowie seine Relegalisierung durch die Gesetzgeber in der Schweiz und anderen Staaten nachgezeichnet. Insbesondere wird dabei auf die gewichtige Rolle eingegangen, die religiöse Fundamentalisten, Rassisten, Antisemiten und Militaristen bei der multinationalen Verbotspolitik gespielt haben. Am Ende der Pressemitteilung befindet sich eine Chronologie der Relegalisierung des Absinths in der Schweiz.
 

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Absinth

Das Getränk: Die Grüne Fee

Der Absinth ist ein aus Wermut, Anis, Fenchel und anderen Kräutern hergestellter hochprozentiger Liqueur, der vornehmlich als Aperitif getrunken wird. Absinth hat eine hellgrüne Farbe, die sich in ein milchiges Weiß verwandelt, wenn der Absinth mit Wasser vermischt wird. Absinth wird wegen seines bitteren Geschmacks nicht pur, sondern mit Wasser verdünnt getrunken, wobei traditionell der Absinth zuerst langsam über eine Stück Würfelzucker gegossen wird, das auf einem speziellen Löffel mit kleinen Löchern gelegt und über das Glas gehalten wird. Hierbei löst sich ein Teil des Zuckers vom Würfel und vermischt sich mit dem Absinth. Das Glas wird wird etwa zur Hälfte mit Absinth gefüllt, dann kommt zur Verdünnung die gleiche Menge Wasser hinzu.

Absinthgenuß führt zu einem Rauschzustand, der sich deutlich von einem reinen Alkoholrausch unterscheidet. Vor allem das Farbempfinden wird aufgehellt und intensiviert, in hohen Dosierungen kann Absinth auch echte Halluzinationen auslösen. Auch das Liebesleben wird durch Absinth angeregt. In zu hohen Dosierungen kommt es nicht nur zu erheiternden Lachkrämpfen, sondern auch zu unangenehmen krampfartigen Zuckungen und zu kaum beherrschbaren Zuständen, die vor allem von Verwirrtheit und Desorientierung gekennzeichnet sein können. Auslöser dieser nach Absinthgenuß typischen Rauschzustände ist der Wirkstoff Thujon, der reichlich im großen Wermutkraut [Artemisia absinthium], der namensgebenden Pflanze des Getränkes, vorhanden ist.

Absinth ist der offizielle Namen des Getränkes, doch wird man kaum jemanden hören, der nach einer Flasche oder einem Glas Absinth fragt, da der Trunk in der Umgangssprache "Grüne Fee" [la fée verte] heißt.  Im Ausgangszustand ist Absinth aufgrund seines Chlorophyllgehalts smaragdgrün. Durch das Verdünnen mit Wasser werden die ätherischen Öle ausgefällt. Die dabei entstandenen kleinen Partikel färben die Mischung aus Absinth und Wasser in ein milchig-weißes Getränk.
Wer nach drei oder vier Gläser der "Grünen Fee" [nach dem Einsetzen der psychedelischen Wirkung] beim Mischen des Absinths mit Wasser bedächtig die Farbverwandlung der grünen Grundsubstanz in weiße, nebelartige Schwaden, die in bizarre sich stets verändernden Formen langsam das ganze Glas ausfüllen und eintrüben, betrachtet, kann hierbei mit angeregter Phantasie die zauberhaften Metamorphosen der sagenumwobenen "fée verte" erkennen.
 

Die Pflanze: Artemisia absinthium

Das große Wermutkraut [Artemisia absinthium] gehört zur Pflanzengattung Beifuß [Artemisia] aus der Pflanzenfamilie der Korbblüter [Asteraceae]. Das große Wermutkraut ist im ganzen Mittelmeerraum heimisch, gedeiht jedoch auch gut in sonnigen Lagen in den Mittelgebirgen nördlich der Alpen, vor allem im Jura. Die Pflanze ist stark astig und wird bis zu einem Meter hoch, die Stengel sind weiß-seidig behaart. Die gefiederten Blattabschnitte sind lanzettenartig, jedoch stumpf ausgestaltet. In den Monaten Juli und August verströmen die hellgelben Blüten einen starken charackteristischen Geruch. Der äußerst bittere Geschmak des großen Wermutkrautes, der auf den Bitterstoff Absinthin zurück zu führen ist, hat eine den Appetit anregende Wirkung.

Das dunkelgrüne bis braune oder bläuliche, stark riechende, kratzend bitter schmeckende ätherische Öl aus den silberartig schimmernden Blättern des großen Wermutkrautes enthält zwischen 40% und 90% Prozent des psychoaktiven Wirkstoffes Thujon, weit mehr als die meisten anderen Arten der Pflanzengattung Artemisia. Man unterscheidet das bicyclische Monoterpen Thujon abhängig von der Stereochemie der C-4-Methyl-Gruppe zwei Thujon-Isomere: Alpha- und Beta-Thujon. Beta-Thujon liegt in höherer Konzentration vor als Alpha-Thujon [Beta-Thujon: 70–90 % des Gesamt-Thujons]. Weitere charakteristische
Inhaltsstoffe sind Terpenlacton-Bitterstoffe wie Absinthin [0,20%–0,28 %] und Artabsin [0,04%–0,16%], wobei das Absinthin der sensorisch maßgebende Bitterstoff des Wermuts ist. Die Gehalte in der Pflanze sind jahreszeitabhängig. Der höchste Bitterstoff-Gehalt tritt im September und der größte Gehalt an
ätherischem Öl im Juni bis Juli auf. Der gemeine Beifuß [Artemisia vulgaris], auch Mutterkraut genannt, eine bis zu 1,5 m hohe Staude, deren Blätter und Blüten Küchengewürz sind, hat in seinem ätherischen Öl nur einen Thujon-Anteil von 1 Prozent und der Feldbeifuß [Artemisia campestris] hat solchen von 4 Prozent. In dem nach der Pflanze selbst benannten Wermutwein finden sich keine bedeutsamen Thujon-Konzentrationen, da dieser im Gegensatz zum Absinth mit wässrigen Auszügen der Wermutpflanze versetzt wird und Thujon nicht wasserlöslich ist.
 

Entdeckung und Geschichte

Der Ursprung des Absinths liegt im Kanton Neuenburg [Neuchâtel] im Schweizer Jura im Val de Travers. Die älteste Rezeptur zur Herstellung von Absinth hat der Überlieferung nach Madame Henriette Henriod, im Jura liebevoll "Mère Henriod" genannt, ausgetüftelt. Im Dorf Couvet im Val de Travers am linken Ufer des Flusses L’Areuse etablierte sie die erste Absinth-Brennerei.  Bekannt wurde Absinth im Jahre 1769, als Madame Henriod in einer Zeitung aus Neuchâtel für einen "Bon Extrait d’Absinthe" warb. Fälschlicherweise wird die Originalzusammensetzung von Absinth oft auf den französischen Arzt Dr. Pierre Ordinaire zurückgeführt. Dieser war 1768 aus Frankreich vor den Unruhen der französischen Revolution nach Couvet ins Val de Travers geflüchtet, kam dort auf den Geschmack der Fée Verte, wie Absinth im Jura genannt wird, und etablierte dort ebenfalls eine Absinth-Brennerei.

Die industrelle Herstellung im großen Stil begann im Jahre 1797. Der französische Major Dubied, dessen Sohn Marcelin und sein Schwiegersohn Henri-Louis Pernod gründeten in Couvet eine große Absinth-Brennerei. Der dort hergestellte Absinth wurde "ohne Zweifel nach Mère Henriods Rezept" hergestellt, so der passionierte Absinth-Historiker Pierre-André Delachaux, der Lehrer in Môtiers, ein Nachbardorf von Couvet, ist. Im Jahre 1805 übernahm Pernod die Federführung in der Absinth-Brennerei in Couvet, gründete kurz später im nahe gelegenen Pontarlier im Französischen Jura eine weitere Absinth-Brennerei und wurde in der Folge der bedeutendste Absinth-Hersteller der Welt.

Von Major Dubied, der um 1806 die Fée Verte als "eau de mère" [Wasser der Mutter] bezeichnete, ist ein originäres Absinth-Rezept überliefert: "Ins Destillat gehören 97prozentiger reiner Alkohol, Anis, Fenchel, grosses Wermutkraut [Artemisia absinthium – daher der Name] und Melisse, in den Aufgruß [Infusion] kleines Wermutkraut und Ysop. Der gebrauchsfertige Absinth wird aus zwei Dritteln Destillat und einem Drittel Aufguss gemischt."

Obgleich in der Schweiz erfunden, war Absinth eigentlich ein typisch französisches Getränk. Bereits 1844 wurde Absinth offiziell den französischen Soldaten im Algerienkrieg [1844-1847] als Medizin gegen Fieber und Durchfall zugeteilt. An den Geschmack gewöhnten sich die Soldaten schnell und brachten diese Trinkvorliebe nach dem Krieg mit nach Frankreich zurück. Absinth erreichte bald wegen seiner eigentümlichen Wirkung den Status eines Kult-Getränkes und wurde nicht nur von Künstlern und Intellektuellen, sondern zunehmend auch in allen anderen Bevölkerungsschichten gern getrunken. So wurden beispielsweise im Jahre 1912 allein in Frankreich über 220 Millionen Liter Absinth getrunken, das sind mehr als 600.000 Liter täglich!
 

Absinth und die Kultur

Die Wirkung von Absinth scheint sehr Doppelwertig [ambivalent] zu sein. Die beiden folgenden häufig zitierten Aussprüche von Oscar Wilde zur Wirkung von Absinth veranschaulichen das Wechselspiel zwischen Zuneigung und Abneigung, die er nach dem Trinken empfunden hatte, in geradezu vortrefflicher Weise:

"Nach dem ersten Glas siehst Du die Dinge wie Du wünscht, daß sie wären. Nach dem zweiten, siehst Du die Dinge, wie sie nicht sind. Zum Schluß siehst Du die Dinge, wie sie wirklich sind, und dies ist das Schrecklichste auf der Welt."

"Das erste Stadium ist wie normales Trinken, im zweiten fängt man an, ungeheuerliche, grausame Dinge zu sehen, aber wenn man es schafft, nicht aufzugeben, kommt man in das dritte Stadium, in dem man Dinge sieht, die man sehen möchte, wundervolle, sonderbare Dinge."

Wohl kein alkoholisches Getränk hat die Malerei und die Dichtung so sehr stimuliert wie der Absinth – ein Elixier, das inspirierte, die Phantasie beflügelte und den Geist berauschte und so auch den Versen von Poeten wie Charles Baudelaire, Victor Hugo, Arthur Rimbaud und Paul Verlaine zur vollendeten Schhönheit verhalf. Auch Oscar Wilde schwärmte, ein Glas der "grünen Muse" sei "das Poetischste auf der Welt" [A glass of absinthe is as poetical as anything in the world]. Die Maler verewigten die grüne Fee wie eine Angebetete, die französischen Impressionisten schienen mehr Absinth als Sauerstoff im Blut zu haben, und selbst Pablo Picasso hat noch ein Absinth-Glas auf der Leinwand hinterlassen, vor allem aber Absinth trinkende Frauen. Im Musée d’Orsay in Paris ist die "Absinth-Trinkerin" [Au café, dit l’Absinthe] von Edgar Degas zu bewundern. Der versunkene, weltentrückte Ausdruck der Frau ist typisch für das Erscheinungsbild von Absinth-Trinkern. Auf inzwischen weltberühmten Bildern von Paul Gauguin, Édouard Manet und Henri de Toulouse-Lautrec sind die Szenen festgehalten, die vor einem Jahrhundert in Frankreich zum Alltag gehörten: Menschen mit trüben Blick, vor sich ein Glas mit einem grünblauen Getränk, einem Stück Zucker und einem flachen Löffel.

Berühmt ist auch das 1888 entstandene Gemälde "Nachtcafé in Arles" von Vincent van Gogh, der hierzu schrieb: "Ich habe versucht, der Idee Ausdruck zu verleihen, daß ein Café ein Ort ist, an dem man sich ruinieren kann, verrückt werden oder ein auch ein Verbrechen begehen kann." Daß exzessiver Absinth-Genuß den Verstand kosten kann, war in den Bars von Paris bestens bekannt, denn viele bestellten seinerzeit das besagte Getränk in zynischer Ironie mit den Worten "une correspondance pour Charenton" [Anschluß nach Charenton] oder kurz "une correspondance" – in Charenton war die Irrenanstalt von Paris und um die Jahrhundertwende soll etwa die Hälfte der Insassen auf Grund des Absinth-Abusus [Absinth-Mißbrauchs] dort eingeliefert worden sein.

Vincent van Gogh war wohl das bekannteste Opfer des Absinths. Der 1853 in Groot Zundert in Nord­Brabant geborene holländische Pfarrerssohn studierte in Amsterdam Theologie, wandte sich dann aber immer mehr der Malerei zu. Er malte anfangs fast ausschließlich in düsteren braunen Farben karg und streng gehaltene Bilder von armen Bauern und Arbeitern und zeichnete in tiefen schwarzen Tönen die Landschaft seiner Heimat. Nach einem kurzen Besuch der Akademie in Antwerpen zog Vincent van Gogh 1886 nach Paris, wo sein Bruder Theo van Gogh als Kunsthändler lebte. Durch ihn lernte er die Werke der Impressionisten und der Neoimpressionisten kennen. Auch befreundete er sich dort mit Paul Gauguin und machte die Bekanntschaft mit der "Grünen Fee" – freiere Zeichnung und lichtere Farbgebung prägten von nun an den gestalterischen Ausdruck von Vincent van Gogh. Aus dem Verlangen nach engerer Berührung mit der Natur begab sich Vincent van Gogh 1888 nach Arles. Hier eignete er sich seinen eigenen farbenglühgenden und ausdruckvollen Stil an und schuf in unermüdlichem Arbeitseifer in einer relativ kurzen Zeitspanne seine bedeutendste Werke.

Überarbeitung, Entbehrung und stetiger übermäßiger Absinth-Genuß führten aber bald zur völligen Erschütterung seines Nervensystems. Als er am 23. Dezember 1888 am Vorabend der Weihnachtstage Paul Gauguin, der auf sein Drängen hin zu gemeinsamer Arbeit nach Arles gekommen war, mit dem Messer bedroht und sich darauf selbst zur Strafe ein Ohr abgeschnitten hatte, wurde er in das örtliche Krankenhaus gabracht. Nach einer schweren Nervenkrise wurde Vincent van Gogh in die Nervenheilanstalt des Dr. Peyron nach Saint-Rémy überwiesen. Dort malte er unter anderem Selbstbildnisse, das Bildnis des Wärters, den Irrenhausgarten, die Landschaft mit den Olivenbäumen und Zypressen wie auch den Sämann und den pflügenden Bauern. Diese Bilder zählen heute zu den bedeutendsten Kunstwerken überhaupt. Im Mai 1890 übersiedelte Vincent van Gogh nach Auvers-sur-Oise, einem malerischen Küntlertreffpunkt unweit der Stadtgrenze nördlich von Paris im Val d’Oise gelegen, wo ihn Dr. Gachet, ein Jugendfreund der impressionistischen Maler Paul Cézanne und Camille Pissaro, betreute. Trotz sich immer häufiger wiederholender Krisen malte Vincent van Gogh ununterbrochen weiter und schuf Bilder mit intensiven Farben von bisher nicht gekannter starker Leuchtkraft, doch flackernde Unruhe erfüllte mehr und mehr seine Landschaftsbilder und Portraits. Nur drei Monate, nachdem Dr. Gachet ihn in seine Obhut genommen hatte,  schoß van Gogh in einer neuen Nervenkrise am frühen Nachmittag des 27. Juli 1890 auf sich selbst und verstarb keine zwei Tage später an den Verletzungsfolgen in den frühen Morgenstunden des 29. Juli, im Alter von 37 Jahren.

Die frühen Bilder des Vincent van Goghs waren oft dunkel und düster und von einem unheimlichen Ernst geprägt. Sie lassen den Schluß zu, daß der junge Vincent van Gogh unter starken Depressionen litt. Mit dem Absinth kam Farbe in seine Malerei. Auch bei Camille Pissaro kann mein eine ähnliche Wandlung nach der Bekanntschaft mit Absinth beobachten. Camille Pissaro stellte auf seinen Bildern, als er mit 25 Jahren nach Paris kam, vornehmlich auf Grau und Grün gestimmte schwermütige Landschaften dar. Erst als er 1866 mit Édouard Manet, Mitbegründer des legendären "Salon des refusés" [Salon der Zurückgewiesenen], in Verbindung trat und in die Kreise der kunstschaffenden Absinth-Trinker eingeführt wurde, entdeckte er seine große Liebe zu der farbigen Schönheit der Welt und malte helle, lichte Landschaften in einer flimmerden Atmosphäre. Auch Paul Cézanne vertrat in der ersten Periode seines Schaffens eine ausgesprochene Dunkelmalerei. Sein Jugendfreund, der Schriftsteller Emile Zola, machte ihn Ende der sechziger Jahre des vorletzten Jahrhunderts mit der Pariser Kunstszene und den Impressionisten bekannt. Von diesen beeinflußte ihn besonders Camille Pissaro, der ihn 1873 nach Auvers-sur-Oise nahm und in die Kunst der Freilichtmalerei einführte. Unter dem Einfluß Pissaros entstanden die "Oise-Landschaften", die von einem farbigen, lockeren und atmosphärischen Stil geprägt sind. Cézanne wurde zwar stark von den Impressionisten inspiriert, doch seine Wahrnehmung der Welt setzte er in seinen Bildern mit den Jahren immer abstrakter, prägnanter und kontrastreicher um, so daß er oft "Vater des Expressionismus" genannt wird.

Paul Gauguin führte neben Cézanne und van Gogh die neuere Malerei von dem farbenzerteilenden und formauflösenden Pointillismus der Impressionisten zu einer rhythmisch verfestigten Kompositionsweise, in der die Farben ausdrucksgesättigt in tektonisch bestimmten Flächen nebeneinander gesetzt wurden. In der Farbgebung bevorzugte er leuchtende Buntheit und starke Gegensätze, ähnlich wie van Gogh, mit dem er 1888 eine kurze Zeit in Arles gemainsam arbeitete. Gauguin siedelte 1891 nach Tahiti über und wollte dort zu einer neuen ursprünglichen Kunst gelangen, wobei er als "Inspirationshilfe" einen sehr großen Vorrat an Absinth in seinem Reisegepäck mit sich führte. Obwohl die von Paul Gauguin im Jahre 1886 gegründete Künstlerschule im bretonischen Pont-Aven die moderne Malerei entscheidend beeinflußte, konnte Gauguin seinen eigenen Lebensunterhalt im Alter nicht selbst aufbringen und verstrab in großem Elend mit 54 Jahren auf der Insel La Dominica. Der Absinth verhalf Gauguin zu seiner in festen Konturen aufbauenden Kunst, die bestimmt war durch die Leuchtkraft der Farben und die Vitalität der Form, doch der stetige Absinth-Genuß soll auch seiner Verelendung im Alter Vorschub geleistet haben. Auch van Gogh schuf Bilder von starker Leuchtkraft der Farben, doch die dämonischen Schwarztöne, die plötzlich über einer hellen, leuchtend gelben Landschaft auftauchten, wie im Bild "Kornfeld mit Krähen", zeigten die zunehmende Verdüsterung seines Gemütes. Es wird berichtet, daß van Gogh sich voll den Wirkungen des Absinths ergeben haben soll und seine späteren Krisen und der anschließende Suizid werden deshalb nicht nur seiner depressiven Veranlagung, die schon in jungen Jahren erkennbar war, zugeschrieben, sondern eben auch dem exzessiven Absinth-Genuß.
 

Absinth, Antisemitismus und die Dreyfusaffaire

Ein ganzes Jahrhundert, etwa von 1800 bis zum 7. Oktober 1910 [da verbot das Mutterland des Absinths, die Schweiz, seinen Bestseller], müßte heute eigentlich als die Absinth-Epoche bezeichnet werden. Dies liegt einerseits in der Tatsache begründet, daß die "Grüne Fee" die schönen Künste ein ganzes Jahrhundert lang maßgeblich prägte und beflügelte, anderseits jedoch auch in der Tatsache, daß sie um die Jahrhundertwende für viele nicht nur eine Glücksgöttin oder ein teuflisch verderblicher Trunk, sondern auch ein Symbol war, daß von Politikern und Rassisten mißbraucht wurde. Dieser Mißbrauch gipfelte in der sogenannten "Dreyfusaffaire", die über ein Jahrzent lang das politische Szenario in Frankreich prägte.

Die Affaire begann mit einem Attentat. Am 24. Juni 1894 wurde der 4. Präsident der französischen Republik, Marie-François-Sadi Carnot, Mitglied der Union républicaine, in Lyon beim Besuch einer Ausstellung von dem italienischen Anarchisten Caserio durch Dolchstöße ermordet. Die durch die Ermordung des Präsidenten geschürte Angst vor Umsturzgefahren wurde von der nationalistisch-klerikal-antisemitischen Militärpartei zu einem arglistigen Schlag gegen die radikalen Republikaner ausgenutzt. Ihr Opfer wurde der dem Generalstab zugeteilte Artilleriehauptmann Alfred Dreyfus, der einer jüdischen Industriellenfamilie aus Mühlhausen im Elsaß entsammte. Dreyfus wurde knapp vier Monate nach dem Attentat am 15. Oktober 1894 verhaftet, am 22 Dezember 1894 wegen Verrats militärischer Geheimnisse an Deutschland kriegsgerichtlich unter Ausschluß der Öffentlichkeit zur lebenslänglichen Deportation verurteilt, am 5. Januar 1895 dagradiert und unehrenhaft aus der Armee entlassen und auf die Teufelsinsel an der Küste von Cayenne [Guayana] verbannt.

Im März 1896 gelangte der Chef des Nachrichtendienstes beim Genralstab, Oberst Georges Picquart, zu der Überzeugung, daß der französische Major Charles Esterházy, österreichisch-ungarischer Abstammung, der wahre Schuldige sei und erreichte schließlich eine Revision des Strafverfahrens, nachdem der jüdische Literaturkritiker Bernard-Lazare [Lazare Bernard] im November 1896 eine Broschüre über die Affaire veröffentlichte und der Senator Auguste Scheurer-Kestner aus Straßburg am 14. November 1897 in der Zeitung "Le Temps" die Fakten, die Bernard-Lazare zusammengetragen hatte, veröffentlichte und seine Überzeugung kund tat, daß Dreyfuß unschuldig und Esterházy schuldig sei. Aber das Kriegsgericht sprach Esterházy am 10. Januar 1989 frei!

Nun griff der Schriftsteller Émile Zola, ein Freund des berühmten Malers Paul Cézanne, ein. Am 13. Januar 1898 veröffentlichte Zola im „L’Aurore“ [2. Jahrgang Nr. 87], der Zeitung von Ernest Vaughan, herausgegeben von Georges Clemenceau, unter dem Titel "J’accuse" [Ich klage an] einen offenen Brief an den Präsidenten der Republik Félix Faure, in welchem er die Unrechtmässigkeit des Prozesses gegen Dreyfus und die Parteilichkeit der Richter aufs schärfste anprangerte. Daraufhin wurde Zola am 23. Februar 1898 wegen Verleumdung zu einem Jahr Gefängnis und 3.000 Franken Geldstrafe verurteilt. Zola wurde im Geichtssaal tätlich angegriffen und mußte von der Polizei beschützt werden. Nach der Verhandlung zog ein antisemitischer Mob durch die Straßen und schrie "A mort! A mort les juifs!" [Tötet, tötet die Juden] und "A mort Zola!" [Tötet Zola] . Zola begab sich, um der Bestrafung zu entgehen, nach England.

Der Text "J'accuse" von Emil Zola ist in englischer und französischer Sprache mit zahlreichen historischen Anmerkungen unter der folgenden Adresse zu finden:
http://www.oxygenee.com/Zola-and-Dreyfus.pdf
respektive:
http://www.oxygenee.com/absintheBOOKS7.html
wie auch zahlreiche Anmerkungen [nur in französischer Sprache]:
http://www.herodote.net/18950105.htm


Im Sommer 1898 wurde der Beweis erbracht, daß das Schriftstück, das Dreyfus hauptsächlich belastete, eine Fälschung des Hauptbelastungszeugen Hubert-Joseph Herny war, die der dem militärischen Nachrichtendienst zugeteilte Oberstleutnant bewußt vorgenommen hatte. Henry legte nach seiner Überführung am 30. August 1898 ein Geständnis ab, kam in Haft und nahm sich tags darauf in seiner Zelle das Leben. Daraufhin hob der Kassationshof das erste Urteil gegen Dreyfus auf und übertrug [gegen den Willen des Präsidenten der Republik Félix Faure, der am 16. Februar 1899 plötzlich in seinem Büro verstarb] einem Kriegsgericht in Rennes die Revision.

Nach dem Tode des Präsidenten Faure wurde am 18. Februar 1899 Emile Loubet, der zum gemäßigten Flügel der Republikaner gehörte, zum neuen Präsidenten gewählt, wobei die gesamte Linke geschlossen für ihn stimmte, weil er zu den Befürwortern einer Revision des Dreyfus-Prozesses gehörte. Die Revisionsverhandlung in Rennes endete am 9. September 1899 mit einer erneuten Verurteilung, allerdings nur zu 10 Jahren Festungshaft wegen Hochverrats. Im Hinblick auf die bereits voll erwiesene Unschuld des Angeklagten war dieses Urteil des Militärgerichtes ein neuer krasser Justizskandal. In der Folge erwirkte der republikanische Ministerpräsident Pierre-Marie-René Waldeck-Rousseau vom Präsidenten der Republik die Begnadigung von Dreyfus. Nachdem weitere Fälschungen enthüllt worden waren, hob der Kassationshof am 12. Juli 1906 das Urteil des Militärgerichts von Rennes unwiederuflich auf. Damit war dann Dreyfus völlig rehabilitiert, erhielt seine Auszeichnungen und Orden zurück und wurde sogar zum Ritter der Ehrenlegion ernannt.

Seine Rehabilitation, ja seine Rettung, verdankte Dreyfus dem mutigen Engagement von Émile Zola. Letzterer kam in der Nacht des 29. September 1902 bei einem Wohnungsbrand in seinem Schlafzimmer ums Leben. Ob es sich dabei um einen Unfall oder um Brandstiftung seitens eines Dreyfus-Gegners aus dem nationalistischen Lager handelte, konnte bis heute nicht geklärt werden. Der Verdacht, daß es sich hierbei um einen gezielten Anschlag handelte, wurde duch die Tatsache erhärtet, daß bei Überführung der Urne mit der Asche von Zola vom Friedhof in den Panthéon am 4. Juni 1908 ein Attentat auf Dreyfus verübt wurde. Dreyfus erlitt dabei schwere Schußverletzungen am Arm, überlebte jedoch das Attentat.

Die Stimmung war damals in Frankreich außerordentlich stark aufgeheizt. In der Zeit der Dreyfus-Affaire war Frankreich in zwei sich in unversöhnlicher Feindschaft gegenüberstehenden Lager gespalten. In dem einen befanden sich Republikaner und Sozialisten, Künstler und Intellektuelle, die unermüdlich für die Revision des Dreyfus-Prozesses gestritten hatten und die sich 1901 zur "Demokratischen Allianz" zusammenschlossen und Frankreich bis 1905 regierten und im andern befanden sich antisemitische Nationalisten und fanatische Revanchisten, die sich in der "Patriotenliga" zusammengeschlossen hatten. Diese wurde später zu einer "Liga für das französische Vaterland" erweitert. Der Haß ging so weit, daß etwa Edgar Degas sein Lieblingsmodell feuerte, weil sie Protestantin war und alle Protestanten für Dreyfus waren.

Der Publizist und Abgeordnete der "Ligue antisémitique française" [1898-1902] Édouard Drumont führte mit der Herausgabe seines Pamphletes "La France juive, essai d'histoire contemporaine" im Januar 1886 beim Verlag Flammarion den Antisemitismus in Frankreich ein. Als Wortführer der Antisemiten jener Tage polterte er in seinem Blatt "La Libre Parole" [Das freie Wort] gegen den Absinth als schändliche jüdische Waffe zur Demoralisierung Frankreichs. Als Beweis nannte er die Beteiligung der Brüder Arthur und Edmond Veil-Picard an der Firma Pernod Fils [Absinth-Destillerie Pernod und Söhne]. Damals war Pernod der erfolgreichste Absinth-Produzent. Daß die Brüder Veil-Picard nicht nur jüdische, sondern auch christliche Vorfahren hatten, störte den antisemitischen Fanatiker nicht weiter. Er versuchte auch mit allen Mitteln die Revision des Dreyfus-Prozesses zu verhindern und forderte immer wieder eine Verurteilung von Émile Zola. In seiner Tageszeitung  "La Libre Parole", die ab dem 20. Januar 1892 mit dem Untertitel "La France aux Français" erschien, forderte er immer wieder den Ausschluß aller Juden aus den französischen Streitkräften. Bei den antisemitischen Nationalisten war sein Blatt, daß in einer täglichen Auflage von etwa 100.000 Exemplaren erschien, eine gerne gelesene Publikation, jedoch nicht bei den Absinth-Fabrikanten, die in übelster Weise in diesem Blatt immer wieder beschimpft wurden. Dennoch gab es 1898 es eine bizarre Koalition zwischen Absinth und Antisemitismus – auf einer Absinth-Flasche. Ein Produzent in Monbéliard [Doubs, France] ließ auf sein Getränk ein aufrührerisches Etikett kleben: "Absinthe Anti-Juive", verschärft um den Zusatz "France aux Français". Abbildung des Etiketts siehe:
http://www.oxygenee.com/absintheBOOKS7.html

Von 1891 bis 1895 lebte der in Budapest [Ungarn] geborene jüdische Rechtswissenschaftler und Schriftsteller Theodor Herzl in Paris als Korrespondent der Wiener "Neuen Freien Presse". Herzl nahm aufgrund seiner journalistischen Tätigkeit als Berichterstatter und zugelassener Korrespondent am 22 Dezember 1894 am Prozeß gegen Dreyfuß vor dem Kriegsgericht teil, bis die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde und die Verhandlung als Geheim erklärt wurde. Auch nahm er am 5. Januar 1895 an der öffentlichen Degradierung des französischen Generalstab Offiziers Alfred Dreyfus in Paris teil. Der jüdische Hauptmann Alfred Dreyfus wurde 1895 beschuldigt, als Spitzel für die Deutschen Dokumente, die französische Militärgeheimnisse enthalten sollen, an die Deutschen ausgehändigt zu haben. Dreyfus wurde durch das von antisemitischen Vorstellungen beeinflußte Kriegsgericht für schuldig gesprochen und auf die Teufelsinsel verbannt. Herzl war von der Unschuld des Verurteilten überzeugt und wußte, daß dieser grauenhafte Verdacht des Verrats einzig deshalb auf Dreyfuß gerichtet wurde, weil er Jude war. Unter dem Eindruck der "Dreyfus-Affäre" entwickelte Herzl dann die Idee einer organisierten Emigration der Juden in einen eigenständigen Staat. Noch im gleichen Jahr wurde Herzl Redakteur des renommierten Feuilletons der "Neuen Freien Presse" in Wien. Mit seiner Veröffentlichung "Der Judenstaat – Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage" wurde Herzl 1896 zum Initiator des politischen Zionismus. Bei der Niederschrift hatte er keine Kenntnis von der bereits existierenden zionistischen Bewegung in Osteuropa, die sich als Reaktion auf die zunehmenden Pogrome gebildet hatte. Erst durch Herzls Publikation fand die Idee eines selbständigen jüdischen Staats internationale Anerkennung. Vom 26. bis 29. August 1897 veranstaltete Herzl in Basel den ersten Zionistischen Weltkongreß mit 206 Delegierten. Auf der Tagung wurde das "Basler Programm" beschlossen, das die "Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina" forderte. Herzl wurde zum ersten Präsidenten der Zionistischen Weltorganisation gewählt.
 

Absinth-Verbote

Am 28. August 1905 erschoß in Commugny, einem Dörfchen am Genfer See im Grenzgebiet zwischen den Kantonen Waadt und Genf, der Landarbeiter Jean Lanfray im Vollrausch seine schwangere Frau und seine zwei Kinder. Lanfray war ein starker Trinker und konsumierte jeden Tag mehrere Flaschen Wein. Am 28. August hatte er auch unter anderem Absinth getrunken. Dieses Ereignis führte dazu, daß der Große Rat des Kantons Waadt am 15. Mai 1906 ein Absinth-Verbotsgesetz annahm. Art.1 besagte: "Der Kleinverkauf des als "Absinth" bezeichneten Likörs ist verboten. Dasselbe gilt für jeden Likör, der unter irgend einer Bezeichnung eine Nachahmung davon bildet". Das Gesetz wurde von verschiedenster Seite als verfassungswidrig angesehen, worauf eine Volksabstimmung angesetzt wurde, die jedoch das Verbot bestätigte. Nach dem Waadtländer Vorbild wurde ein Jahr später auch im Kanton Genf das Absinthverbot durch das Stimmvolk angenommen.

Auf Bundesebene formierte sich 1906 ein eidgenössischer Initiativausschuß gegen den Absinth. Da es in der Schweiz nicht möglich ist, das Gesetz, sondern nur die Verfassung per Volksinitiative zu verändern, mußte der Artikel in die Verfassung geschrieben werden. Die Initiative wurde von 167.814 Stimmberechtigten [Männern, die Frauen hatten damals in der Schweiz kein Stimmrecht] unterschrieben. Am 5. Juli 1908 nahmen alle Kantone außer Neuenburg und Genf die Initiative mit 241.078 Ja-Stimmen zu 138.669 Nein-Stimmen bei einer Stimmbeteiligung von 49% an, und am 7. Oktober 1910 wurde das Absinth-Gesetz aufgrund des Verfassungsartikels 32ter erlassen.

Text der Volksinitiative: http://www.admin.ch/ch/d/pore/vi/vi9t.html
Abstimmungsresultate: http://www.admin.ch/ch/d/pore/va/19080705/can68.html


Anlaß für das Verbot in der Schweiz war, wie schon erwähnt, ein grausamer Mord. Auf den Titelseiten europäischer Zeitungen war ausführlich über den "Absinth-Mörder" berichtet worden, der seine Frau und Kinder erschossen hatte, wohl im Vollrausch, dessen Krönung noch zwei Gläser Absinth waren. Aber trotz des Gutachterstreits wurde damals eine Volksbewegung gegen den Absinth losgetreten. Unterstützer dieser Volksbewegung waren vor allem die Weinbauern, die wegen des steigenden Konsums von Absinth ihren Wein nicht mehr profitabel verkaufen konnten. So ist es nicht verwunderlich, daß die Zeitung von Lausanne den Konsum von Absinth als wichtigsten Grund "für die blutigen Verbrechen in diesem Land" bezeichnete, wenn man in Betracht zieht, daß Lausanne, die Hauptstadt des Waadtlandes, im Mittelpunkt eines großen Weinanbaugebietes liegt. Absinth wurde zum Politikum und man dichtete dem Absinth jede Schlechtigkeit der Welt an, von verstärkender Neigung zu Wahnsinn und Selbstmord, bis hin zur "Absinth-Epilepsie".

Nach dem Verbot in der Schweiz folgte 1912 das Verbot in den USA. Bereits zuvor [1905] hatte Belgien ohne großen Aufruhr den Verkauf untersagt. Das Land mit dem größten Verbrauch setzte sich hingegen darüber hinweg: In Frankreich verlustierte man sich noch bis zum Ersten Weltkrieg an der grünen Fee, leicht gezuckert.1912 wurden über 220 Millionen Liter Absinth getrunken, was den Kolumnisten Alfred Capus zu der Feststellung hinriß: "Absinth ist das bevorzugte Getränk des französischen Mannes." Aber auch in Frankreich wuchs die Anti-Absinth-Bewegung, für die Georges Ohnet 1907 schrieb: "Wenn Absinth nicht gebannt wird, wird aus unserem Land bald eine riesige Gummizelle, wo die Hälfte aller Franzosen damit beschäftigt ist, die andere Hälfte in Zwangsjacken zu stecken." Erst am 1. März 1915 trat in Frankreich ein Gesetz in Kraft, welches die Herstellung und den Verkauf von Absinth untersagte.

Der Absinthkonsum spielte in Deutschland nie eine sehr große Rolle. Dennoch wurde es mit Inkrafttreten des "Gesetzes über den Verkehr mit Absinth" [AbsinthG] vom 27. April 1923 in Deutschland verboten, "den als Absinth bekannten Trinkbranntwein, ihm ähnliche Erzeugnisse oder die zur Herstellung solcher Getränke dienenden Grundstoffe einzuführen, herzustellen, zum Verkaufe vorrätig zu halten, anzukündigen, zu verkaufen oder sonst in den Verkehr zu bringen [...]" Ferner wurde untersagt, "Wermutöl oder Thujon [Tanaceton] bei der Herstellung von Trinkbranntwein [...] zu verwenden [...]."

Das AbsinthG trat Ende 1981 außer Kraft, die Rechtslage blieb in Deutschland aber beinahe unverändert, da die Aromenverordnung [AromenV] vom 2. April 1985 die Verwendung von Wermutöl und Thujon weiterhin untersagte. Eine grundlegende Änderung wurde erst mit Inkrafttreten der "Verordnung zur Änderung der AromenV und anderer lebensmittelrechtlicher Verordnungen" vom 29. Oktober 1991 rechtsgültig. Diese Verordnung stellt die Umsetzung von EU-Richtlinien zur Angleichung europäischer Rechtsvorschriften dar. Die Verwendung thujonhaltiger Pflanzen und Pflanzenteile [Wermutkraut, Beifuß] sowie von Aromaextrakten aus solchen Pflanzen ist nunmehr gestattet. Obwohl das Verwendungsverbot von Thujon offiziell erhalten blieb, sind tatsächlich die Grenzwerte für Thujon in der fertigen Spirituose maßgeblich: 5 mg/l bei bis zu 25 Volumenprozent Alkohol, 10 mg/l bei darüber liegendem Alkoholgehalt und 35 mg/l in Bitterspirituosen. Die Grundannahme dieser Richtlinien ist, daß durch den Alkoholgehalt beziehungsweise die Bitterstoffe, keine größeren Mengen Thujon durch einen Menschen aufgenommen werden können.
 

Absinth und die Medizin

Obwohl von den Schweizern erfunden, war Absinth eigentlich ein französisches Getränk. Schon 1840 wurde es offiziell den französischen Soldaten im Algerienkrieg als Mittel gegen Fieber mitgegeben, an den Bittergeschmack mit Anisnote gewöhnten sich die Soldaten rasch und brachten nach dem Krieg eine neue Trinkvorliebe mit nach Hause. Zur Mittagsstunde wurde in der Folge in ganz Frankreich die "heure verte", eine dem Absinth gewidmete "Grüne Stunde", zelebriert. Zwischen 11 und 13 Uhr saßen viele Franzosen in den Straßencafés und tranken mit kleinen Schlucken die "Grüne Fee".

Die medizinische Geschichte des Absinth ist nur lückenhaft erforscht. Ausgangsstoff ist das Wermutöl, aus dem Absinth destilliert wird und das eine Karriere als Heilmittel gegen Fieber und Durchfälle hinter sich hatte, ehe in "The Lancet" 1872 stand, daß die Hauptwirkung im Auslösen epileptischer Anfälle bestehe. Das führte dazu, daß Oleum absinthii auch in Frankreich von den Apothekern nur noch gegen Rezept abgegeben werden durfte.

Vor allem sollen chronische Absinth-Trinker nach Meinung diverser Experten wegen besonderer Angstzustände und Gewaltbereitschaft aufgefallen sein, viele bekämen auch Tuberkulose, was auf die Mangelernährung der Alkoholiker zurückzuführen sei: "Alkohol bereitet der Tuberkulose das Bett." Es fehlte auch nicht an positiven Stimmen, die meinten, daß in Maßen [nicht in bayerischen] konsumierter Absinth die intellektuelle Aktivität stimuliere. Militärs behaupteten, das tropische Klima ließe sich dank Absinth besser ertragen. Trotz unterschiedlicher Einschätzung besteht allgemein die Übereinstimmung, daß es sich bei Thujon um eine Substanz handelt, die eine qualitative Unterscheidung des Absinths von anderen alkoholischen Getränken notwendig macht. Thujon ist ein bizyklisches Monoterpen aus der Reihe der Thujon-Derivate. Es wurde von Otto Wallach als Bestandteil des Thujaöls aus dem Lebensbaum [Thuja occidentale] entdeckt. Seine chemische Struktur wurde 1900 erstmals von Friedrich Wilhelm Semmler aus Greifswald korrekt beschrieben.

Von großer Bedeutung scheint das Zusammenspiel verschiedener Risikofaktoren zu sein. Die Rolle des Alkoholmißbrauchs und seine Folgen sind mittlerweile bekannt. Eine Eiweißmangelernährung, nicht selten die Folge des Alkoholismus, ist ebenso wie Streß, ein Risikofaktor der akuten intermittierenden Porphyrie [Störung der Biosynthese bei der Bildung von Hämoglobin], die nachweislich durch Thujongabe ausgelöst werden kann. Sowohl die Porphyrie als auch eine Thujon-Intoxikation können eine neuropsychiatrische Symptomatik auslösen. Dabei sind vor allem exogene Psychosen und Krampfanfälle zu nennen. Die Krampfbereitschaft wird durch Nikotinkonsum noch erhöht. Die Auswirkungen des Alkohols auf das Nervensystem werden verstärkt. So entsteht ein komplexes, sich wechselseitig verstärkendes Netz gesundheitsgefährdender Faktoren für die Absinth-Trinker. Dies gilt in besonderem Maße, wenn eine defekte Hämsynthese [Bildung von Hämoglobin, roter Blutfarbstoff] vorliegt, die ohne die Exposition von Risikofaktoren häufig latent verläuft.

Der Thujon-Gehalt historischer Absinthe ist weitgehend unbekannt, die angegebenen Konzentrationen schwanken zwischen 60 und 260 mg/kg. Zudem muß hier festgestellt werden, daß die Thujon-Konzentrationen aufgrund der damaligen mangelhaften analytischen Techniken möglicherweise früher weit überschätzt wurden. In einem historischen Absinth von Pernod wurde ein geringerer Thujon-Gehalt nachgewiesen als in heutigen Absinthen. Nach Ansicht des Deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung ist selbst bei einer deutlichen Überschreitung des gesetzlichen Höchstwerts von 35 mg/kg nicht zu erwarten, daß die Verbraucher gesundheitsschädigende Mengen an Thujon aufnehmen. Gefährliche Thujon-Konzentrationen können nur auftreten, wenn Getränke nach Rezepten aus dem Internet mit großen Mengen Wermut-Öl selbst hergestellt werden. In Tschechien sind einzelne Absinth-Sorten mit bis zu 100 mg/kg Thujon erhältlich.

Im Vergleich zu Beta-Thujon wird dem Alpha-Thujon eine 2,3fach höhere Toxizität zugeschrieben. Bis heute liegen jedoch keinerlei Untersuchungen zu den Wirkungen von Alpha-/Beta-Thujon vor, insbesondere auf das zentrale Nervensystem nach Absinth-Genuß. Als Hauptwirkungen des Thujons werden primär halluzinatorische Effekte angegeben; es konnte eine Wirkung des Alpha-Thujons an Gamma-Aminobuttersäure abhängigen [GABAergen] Chlorid-Ionen-Kanälen nachgewiesen werden [GABA-Typ-A-Rezeptoren].

Das Verhältnis der beiden Thujon-Isomere zueinander sollte bei der Zulassung neuer Absinth-Produkte immer überprüft werden, weil es Rückschlüsse auf die Herkunft des Thujons erlaubt. Von einer Herkunft aus der Wermut-Pflanze kann ausgegangen werden, wenn der Beta-Thujon-Anteil eines Absinthes deutlich über 90% liegt. Bei den Sorten, in denen das Alpha-Isomer überwiegt, ist das Thujon nicht oder nicht ausschließlich aus dem Wermut gewonnen worden. Vermutlich liegt dann eine Verfälschung mit Bestandteilen der Zeder, die 85% Alpha-Thujon enthalten, oder mit Bestandteilen von anderen thujonhaltigen Pflanzen vor.

Quelle: Absinth – ein Getränk kommt wieder in Mode: toxikologisch-analytische und lebensmittelrechtliche Bewertungen
Dirk W. Lachenmeier1, Willi Frank1, Constanze Athanasakis1, Stephan A. Padosch2, Burkhard Madea2, Markus A. Rothschild3 und Lars U. Kröner3
Chemisches und Veterinäruntersuchungsamt [CVUA] Karlsruhe, Weißenburger Str. 3, D-76187 Karlsruhe
2  Institut für Rechtsmedizin der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Stiftsplatz 12, D-53111 Bonn
3  Institut für Rechtsmedizin der Universität zu Köln, Melatengürtel 60–62, D-50823 Köln
http://www.cvua-karlsruhe.de/seiten/cvua/aktuelles/Lachenmeier%20Absinth.pdf

Alpha-Thujone [the active component of absinthe]: Gamma-Aminobutyric acid type A receptor modulation and metabolic detoxification
Karin M. Hol, Nilantha S. Sirisoma1, Tomoko Ikeda2, Toshio Narahashi2, and John E. Casida1,2
Environmental Chemistry and Toxicology Laboratory, Department of Environmental Science, Policy and Management, 114 Wellman Hall, University of California, Berkeley, CA 94720-3112
2  Department of Molecular Pharmacology and Biological Chemistry, Northwestern University Medical School, Chicago, IL 60611-3008
Contributed by John E. Casida, January 31, 2000; APPLIED BIOLOGICAL SCIENCES, 3826–3831,  PNAS, April 11, 2000, vol. 97, no. 8
http://www.lafeeverte.ch/downloads/thujone.pdf

LAFEEVERTE.CH - ABSINTHE UND MEHR ...
http://www.lafeeverte.ch/


Der Begriff "Absinthismus" steht für ein Krankheitsbild als Folge langjährigen übertriebenen Absinthgenusses und ist u.a. durch Schlafstörungen, affektive Störungen und neurologische Symptome, wie Tremor, Paralyse und Krampfanfälle, gekennzeichnet. Letztere treten insbesondere bei akuter Intoxikation mit Alpha-Thujon auf, was durch einen Antagonismus am inhibitorisch wirksamen GABA-Typ-A-Rezeptor erklärt wird. Die funktionelle Hemmung des GABA-Typ-A-Rezeptors durch Alpha-Thujon konnte durch Diazepam aufgehoben werden. Die Vermutung, daß Alpha-Thujon aufgrund seiner strukturellen Ähnlichkeit mit dem Cannabinoid Delta-9-THC Cannabinoid-Rezeptor aktiviert, wurde nicht bestätigt. Thujon bindet zwar am CB1-Cannabinoid-Rezeptor, bewirkt jedoch keine Signaltransduktion.

Der 5-HT3-Rezeptor könnte im Zusammenhang mit Alpha-Thujon von Bedeutung sein, da dieser für eine Reihe psychiatrischer Erkrankungen und deren Behandlung eine wichtige Zielstruktur darstellt, zumal einige Antidepressiva die Funktion des 5-HT3-Rezeptors hemmen können. Die Aktivierung von 5-HT3-Rezeptoren führt zu einer
• erhöhten Aktivität viscero-affektiver Neurone [Übelkeit, Erbrechen]
• verminderten synaptische Ausschüttung von Acetylcholin und Noradrenalin
• vermehrten synaptischen Ausschüttung von GABA und Dopamin
und es stellt sich ein Zusammenhang dar zwischen Antagonismus am 5-HT3-Rezeptor und einem
• antipsychotischen Effekt
• stimmungsaufhellenden Effekt
• anxiolytischen Effekt
• nootropischen Effekt.

Eine umfangreiche Arbeit von Höld et al. [2000] ergab, daß Alpha-Thujon in Konzentrationen, wie sie im Gehirn erreicht werden können, GABA-Typ-A Rezeptor-vermittelte Antworten vermindert. Im Hinblick auf die psychotropen Eigenschaften von Alpha-Thujon wurde deshalb  nach einer möglichen Wirkung am 5-HT3-Rezeptor gesucht. Experimente mit homomeren 5-HT3A-Rezeptoren ergaben einen inhibitorischen Effekt, der reversibel und konzentrationsabhängig war. Alpha-Thujon vermindert die 5-HT3-Rezeptor-Aktivität. Der Verminderung serotonerger Rezeptor-Antworten könnte zu den psychotropen Wirkungen von Alpha-Thujon beitragen. Alpha-Thujon, der psychotrope Wirkstoff im Absinth erzeugt bei akuten Intoxikationen u.a. zerebrale Krämpfe. Diese können zum Teil auf eine inhibitorische Wirkung am GABATyp-A-Rezeptor zurückgeführt werden. Im Hinblick auf die psychotropen Wirkungen von Alpha-Thujon ist der Effekt von auf die 5-HT3-Rezeptor-Aktivität von Interesse, da dieser kationenselektive Liganden-gesteuerte Ionenkanal u.a. in der Regulation von Affekt und Wahrnehmung eine Rolle spielt. Zudem zeigt der 5-HT3-Rezeptor eine erhebliche Homologie mit dem anionenselektiven GABA-Typ-A--Rezeptor.

Quelle: Tobias Otto Joachim Deiml: Die Wirkung des neurotropen Absinth-Wirkstoffs Alpha-Thujon auf den 5-HT3-Rezeptor, München 2003
http://edoc.ub.uni-muenchen.de/archive/00001450/01/Deiml_Tobias.pdf
 

Neue Konsumform

Interessant ist auch eine neue Art des Konsums. Im Gegensatz zum historisch bekannten langsamen Trinken des verdünnten Absinths hat sich nun eine andere Methode verbreitet: Ein Löffel mit Zucker wird in den Absinth getaucht und über dem Glas angezündet. Der Alkohol verbrennt und der Zucker tropft ins Glas. Wenn die Flamme verlischt, wird der restliche Zucker ins Glas gerührt und der Absinth schnell ausgetrunken. Inwieweit sich die Thujon-Konzentration im Vergleich zum Äthanol durch diese Methode verändert, ist Gegenstand aktueller Untersuchungen. Vermutlich kann auf diese Weise wesentlich mehr Thujon aufgenommen werden, da beim Konsum nach dieser neuartigen Methode kein so heftiger Alkoholrausch eintritt. Eine stärkere Wirkung des Thujons im Vergleich zu der des Alkohols würde dann zu einer neuen Erlebnisqualität führen, die durch eine stärkere halluzinatorische Komponenten gekennzeinet wäre.
 

Anmerkungen zur Prohibition

Bei der historischen Betrachtung der Absinth-Prohibition zeigt sich deutlich, daß der Absinth für andere politische Ziele instrumentalisiert wurde. Dies waren in erster Linie nationalistische, rassistische und wirtschaftliche Ziele. Hand in Hand hatten rechts-konservative Kräfte mit den Prohibitionisten die Fremdenfeindlichkeit geschürt. Moralisierende und angstschürende "wissenschaftliche" Publikationen wurden von den Medien kolportiert. Unter Bezugnahme auf ethische, moralische und religiöse Werte wurde in fundamentalistischer Weise Abstinenz gepredigt. Tatsachen wurden aus dem Zusammenhang gerissen und einseitig manipulativ dargestellt. Künstler und Intellektuelle wurden diskreditiert.

Ein Vergleich der Ereignisse und der Berichterstattung aus der Zeit der aufkommenden Absinth-Prohibition im Zusammenhang mit dem Absinth mit Ereignissen und der Berichterstattung der aufkommenden und anhaltenden Cannabis-Prohibition im Zusammenhang mit den Wirkungen und Nebenwirkungen der psychotropen Stoffe der Cannabis-Pflanze zeigt erschreckende Parallelen auf. Nicht nur das Auftauchen eines rassistischen und fremdenfeinlichen Vokabulars in der Berichterstattung im Zusammenhang mit Drogen, nicht nur die Verunglimpfung ganzer kultureller Strömungen und Stilrichtungen im Zusammenhang mit Drogenkonsum und nicht nur die Kolpertierung tendenziöser "wissenschaftlicher" Publikationen sind charakteristisch sowohl für die Absinth- als auch für die Cannabis-Prohibition, sondern auch das Verbreiten von absolut absurden Behauptungen. So behaupten beispielsweise Prohibitionisten immer wieder auf's Neue, die helvetische Drogenpolitik sei zu lax und zu liberal, ja die Schweiz sei ein Kiffer-Paradies. Doch eine nähere Betrachtung der amtlichen Statistiken zeigt mit aller Deutlichkeit, daß wohl kaum in einem anderen Land der Welt der Repressionsdruck so groß ist wie in der Schweiz. So offfenbart ein Vergleich der schweizerischen Betäubungsmittelstatistik der Bundespolizei mit dem Rauschgiftjahresbericht des Bundeskriminalamtes der Bundesrepublik Deutschland, daß der Repressionskoeffizient in der Schweiz mehr als doppelt so groß ist als in Deutschland – und kein anderes Land der Europäischen Union gibt so viel Geld – sowohl relativ als auch absolut – für die Drogenrepression aus wie die Bundesrepublik Deutschland. Die folgende Tabelle zeigt eine Aufschlüsselung der Daten für das Jahr 2002. In der Zwischenzeit ist sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland der Repressionsdruck weiter angestiegen.
 

Repressionskoeffizienten in der Schweiz und in Deutschland
 
Land / Landesteil
Einwohner
BtM-
Delikte
Repressions-
Koeffizient
Bundesrepublik Deutschland
82.440.309
250.969
304
Schweiz
7.313.853
49.201
673
Französischsprachige Schweiz [GE, JU, NE, VD, VS]
1.568.418
13.772
878
Deutsch- und rätoromanischsprachige Schweiz und Tessin
5.745.435
35.429
617

 

Der Repressionskoeffizient [Belastungszahl] ist die Zahl der polizeilich erfaßten Delikte [hier Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz = BtM-Delikte] pro 100.000 Einwohner. In Deutschland registrierten die Behörden 304 BtM-Delikte pro 100.000 Einwohner im Jahr 2002, in der Schweiz waren weit mehr als doppelt so viele, nämlich 673. Die Wahrscheinlichkeit, als Betäubungsmittelkonsument von der Polizei belästigt zu werden, ist in der Schweiz somit mehr als doppelt so groß als in Deutschland. Hierbei muß festgestellt werden, daß in den französischsprachigen Kantonen diese Wahrscheinlichkeit um 40% größer ist als in der übrigen Schweiz. Im Kanton Waadt, wo auch die helvetische Absinth-Prohibition ihren Ursprung hatte, liegt der Repressionskoeffizient bei 1.077. Dies ist mit Abstand der höchste Wert in der ganzen französischsprachigen Schweiz. Im Kanton Waadt stehen Prohibition und Repression wie vor hundert Jahren nach wie vor hoch im Kurs. Die Waadtländer scheinen ihre prohibitionistische und repressive Tradition zu lieben und zu pflegen, obwohl erwiesenermaßen mehr junge Waadtländer Cannabis probieren und/oder dauerhaft konsumieren als Jugendliche in der deutschsprachigen Schweiz und sich die Repression als untaugliches Instrument zur Reduzierung des Konsums erwiesen hat. Offensichtlich basieren drogenpolitische Leitmotive zuweilen immer noch weit mehr auf fundamentalistischen Überzeugungen als auf Überlegungen, die durch Vernunft geleitet werden.
 
 

Chronologie der helvetischen Absinth-Relegalisierung

13.12.02  Einreichung der parlamentarischen Initiative durch  Jean-Claude Cornu, Fribourg, Freisinnig-demokratische Fraktion

Eingereichter Text

Gestützt auf Artikel 160 Absatz 1 der Bundesverfassung und Artikel 21bis des Geschäftsverkehrsgesetzes reiche ich die folgende Parlamentarische Initiative in der Form des ausgearbeiteten Entwurfes ein. Ziel dieser Initiative ist es, die gesetzlichen Beschränkungen der Herstellung und Vermarktung von Absinth zu beseitigen.
Das Lebensmittelgesetz vom 9. Oktober 1992 wird wie folgt geändert:
Art. 2 Abs. 4 Bst. a
a. für Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände, die für den Eigengebrauch bestimmt sind;
(Rest des Buchstabens streichen)
Art. 11
Aufgehoben
Art. 47 Abs. 1 Bst. d
d. Aufgehoben

Begründung

Das Absinthverbot, das im Jahre 1908 in die Bundesverfassung aufgenommen worden war, wurde im Rahmen der Totalrevision von 1999 nicht beibehalten. Trotzdem bleibt das Verbot auf Gesetzesebene [Lebensmittelgesetz vom 9. Oktober 1992; SR 817.0] und auf Verordnungsebene [Lebensmittelverordnung vom 1. März 1995; SR 817.02] bestehen.

Die Aufrechterhaltung des Verbots ist nicht mehr gerechtfertigt, und zwar insbesondere aus folgenden Gründen:

Im Interesse der Volksgesundheit wurde der maximale Gehalt an Thuyon [Substanz, der die schädigende Wirkung von übermäßigem Absinthkonsum zugeschrieben wird] bereits klar geregelt [siehe Verordnung des EDI vom 26. Juni 1995 über Fremd- und Inhaltsstoffe in Lebensmitteln; SR 817.021.23]. Falls bei legaler Herstellung und anschließendem Konsum von Absinth diese Vorschrift und weitere anwendbare Bestimmungen eingehalten werden, besteht für die Volksgesundheit folglich keine größere Gefahr als bei anderen Spirituosen.

Der Absinth hat für das Val-de-Travers einen unbestreitbaren landwirtschaftlichen und historischen Wert. Wirtschaftliche, soziokulturelle und touristische Aspekte sind für die Region von Bedeutung. Würde das Absinthverbot aufgehoben, so könnte im Val-de-Travers wieder ["legal"] Absinth hergestellt werden. Damit würde man der stetig wachsenden Nachfrage gerecht, und es könnten längerfristig neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Zudem würde die Landwirtschaft vielfältiger, weil Absinth, Pfefferminze, Zitronenmelisse und Hysop angebaut werden könnten. Die "Grüne Fee", die über unsere Landesgrenzen hinaus bekannt ist, wäre ein Werbeträger für das Val-de-Travers. Mit diesem geschätzten Produkt und allem, was dazugehört, könnten das Val-de-Travers bekannt gemacht und ein positives, dynamisches Image dieser Region geschaffen werden.

Das gesetzlich verankerte Absinthverbot verhindert, dass dieses authentische Erzeugnis durch eine geschützte Ursprungsbezeichnung [GUB] oder eine geschützte geographische Angabe [GGA] geschützt werden kann. Dabei sind in der französischen Nachbarregion Herstellung und Verkauf ähnlicher Produkte erlaubt und nehmen ein immer größeres Ausmaß an. Damit könnte wahrscheinlich schnell in Vergessenheit geraten, daß der Absinth ein ursprüngliches und authentisches Erzeugnis des Val-de-Travers ist.

Es ist der "Association Région Val-de-Travers" ein großes Anliegen, daß das gesetzlich verankerte Absinthverbot aufgehoben wird.

Quelle: http://www.parlament.ch/afs/data/d/gesch/2002/d_gesch_20020475.htm
 

15.08.2003  Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates

Die Kommission hat an ihrer Sitzung vom 15. August 2003 gestützt auf Artikel 21ter des Geschäftsverkehrsgesetzes die am 13. Dezember 2002 von Ständerat Cornu eingereichte Parlamentarische Initiative vorgeprüft. Die Initiative verlangt, das im Lebensmittelgesetz verankerte Verbot zur Herstellung von Absinth aufzuheben. Antrag der Kommission: Die Kommission beantragt einstimmig, der Initiative Folge zu geben.

Quelle: http://www.parlament.ch/afs/data/d/bericht/2002/d_bericht_s_k23_0_20020475_0_20030815.htm
 

24.09.2003  Der Ständerat gibt der Initiative Folge

Das Geschäft geht zur Ausarbeitung einer Vorlage zurück an die Kommission. Die Prüfung der Rechtslage ergibt, dass der Konsum von Absinth schon heute nicht strafbar ist, nur die Herstellung und der Vertrieb sind es.

Quelle: http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/s/4620/89780/d_s_4620_89780_89877.htm
 

10.02.2004  Zweiter Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates

Am 10. Februar 2004 beriet die Kommission im Beisein von Vertretern des Bundesamtes für Gesundheit und des Bundesamtes für Landwirtschaft den Gesetzesentwurf samt Bericht und nahm beide einstimmig an. Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates beantragt, den beiliegenden Gesetzesänderungen zuzustimmen.

Bericht: http://www.admin.ch/ch/d/ff/2004/1455.pdf
 

12.03.2004  Stellungnahme des Bundesrates

In der Stellungnahme heißt es: Heute wird dieser Spezialität [Absinth] durch die illegale Produktion das Locketikett eines verbotenen Produkts verliehen, und Präventionsprogramme können nicht auf ein illegales Produkt ausgerichtet werden. Zudem ließe sich das Herstellungsverfahren von Absinth nach einer Legalisierung besser kontrollieren, da es sich bei Absinth um destillierten Alkohol handelt, der dem Alkoholgesetz untersteht. Auch hätte man genaue Kenntnis der hergestellten Mengen, und Produkte, die die gesetzlichen Anforderungen insbesondere bezüglich Thujongehalt [der bezüglich der Toxizität von Absinth geltend gemachte Punkt] nicht erfüllen, könnten beanstandet werden.

Ausgehend von diesen Überlegungen heißt der Bundesrat den Vorschlag der Kommission für Wirtschaft und Abgaben und die Forderungen betreffend die Aufhebung des Absinthverbots gut, da mit den geltenden Gesetzesgrundlagen für alkoholische anishaltige Getränke die nötigen Präventionsmaßnahmen getroffen werden können. Absinth stellt kein besonderes Risiko mehr dar und im Fall einer Legalisierung würde ein Mißbrauch behandelt wie bei vergleichbaren alkoholhaltigen Getränken. Absinth würde ebenfalls dem Alkoholgesetz unterstellt und entsprechend besteuert.

Quelle: http://www.admin.ch/ch/d/ff/2004/1465.pdf
 

17.03.2004  Der Ständerat votiert einstimmig für die Gesetzesänderungen

In der Detailberatung betreff Bundesgesetz über Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände und betreff Bundesgesetz über die gebrannten Wasser entscheidet sich der Ständerat ohne Gegenantrag für ein Eintreten auf die Vorlage.

Quelle: http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/s/4702/100908/d%5Fs%5F4702%5F100908%5F100912.htm
 

05.04.2004  Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates

Die Kommission schließt sich den im Bericht vom 10. Februar 2004 der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates dargelegten Überlegungen an und beantragt einstimmig, den vom Ständerat beschlossenen Gesetzesänderungen zuzustimmen.

Quelle: http://www.parlament.ch/afs/data/d/bericht/2002/d_bericht_n_k10_0_20020475_0_20040405.htm
 

14.06.2004  Der Nationalrat gibt der Initiative Folge

Der Nationalrat beschließt Eintreten ohne Gegenantrag mit 142 Ja-Stimmen und 13 Neinstimmen für das Bundesgesetz über Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände und mit 126 Ja-Stimmen und 11 Nein-Stimmen für das Bundesgesetz über die gebrannten Wasser.

Quelle: http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/n/4704/106393/d%5Fn%5F4704%5F106393%5F106516.htm
 

18.06.2004  Schlußabstimmung des Nationalrates [Annahme der Absinth-Initiative]

Für die Annahme des Bundesgesetzes über Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände votierten 166 Parlamentarier, dagegen 13 Parlamentarier, für die Annahme des Bundesgesetzes über die gebrannten Wasser votierten 176 Parlamentarier, dagegen 7 Parlamentarier.

Quelle: http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/n/4704/107979/d_n_4704_107979_108079.htm?DisplayTextOid=108080

Anmerkung: Wenige Tage zuvor, am 14. Juni 2004, lehnte eine Mehrheit im Nationalrat mit 102 gegen 92 Stimmen es ab, daß sich die große Kammer des Schweizer Bundesparlamentes mit dem Reformentwurf der Regierung zum Betäubungsmittelgesetz befaßt. Damit war der Reformplan der Regierung gescheitert und Kiffen bleibt vorerst in der Schweiz strafbar.

Quelle: http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/n/4704/106393/d_n_4704_106393_106538.htm
 

18.06.2004  Schlußabstimmung des Ständerates [Annahme der Absinth-Initiative]

Für die Annahme des Bundesgesetzes über Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände votierten 40 Räte, dagegen keiner bei 2 Enthaltungen, für die Annahme des Bundesgesetzes über die gebrannten Wasser votierten 38 Räte, dagegen keiner bei 4 Enthaltungen. Die Annahme erfolgte einstimmig.

Quelle: http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/s/4704/108009/d_s_4704_108009_108017.htm?DisplayTextOid=108018
 

02.02.2005  Der Bundesrat gibt Datum der Absinth-Legalisierung bekannt

Der Bundesrat hatte am 2. Februar 2005 die Aufhebung des fast hundertjährigen Absinthverbotes auf den 1. März 2005 festgelegt und die notwendigen Verordnungsanpassungen verabschiedet.

Im Sommer 2004 hatte das Parlament der Abschaffung des Absinthverbotes zugestimmt. Am 2. Februar 2005 wurde vom Bundesrat die Verordnungsanpassungen beschlossen und der Termin für die Aufhebung bestimmt. Die Änderungen des Alkohol- und des Lebensmittelgesetzes werden zu diesem Zeitpunkt in Kraft treten. Bisher war Absinth in der Lebensmittelverordnung in Form eines Verbotes definiert. Die Definition wurde nun in die Kategorie der übrigen Spirituosen integriert.

Um die Gesundheit  der Konsumentinnen und Konsumenten zu schützen, wurde gleichzeitig der zulässige Thujongehalt vom Departement des Innern analog den Bitterspirituosen und in Übereinstimmung mit europäischen Bestimmungen limitiert. Ob die Bezeichnung Absinth wegen der Umschreibung in der Lebensmittelverordung als Gattungsbezeichnung beurteilt werden muß, soll später im Rahmen der Prüfung des Gesuchs für eine Eintragung in das Register der geschützten Ursprungsbezeichnungen [GUB] abgeklärt werden.

Quelle: http://www.bag.admin.ch/dienste/medien/2005/d/05020204.htm
 

01.03.2005  Absinth ist in der Schweiz wieder legal

Na dann Prost!
 
 

Berlin, den 1. März 2005
Redaktion Webteam Eve & Rave e.V. Berlin

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